Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
erhöhen, damit nichts bleibt, wie es ist. Männer, denen »das Geschrei der Zermalmten«, die bei der »schöpferischen Zerstörung« 19 des Alten untergehen, wie Musik in den Ohren klingt. Was sie ausscheiden oder übrig lassen, ist überflüssig.
Das amerikanische Modell: Charity als adäquate Form der Nächstenliebe.
Wie immer in der Geschichte des Kapitalismus erzeugt die Arroganz seiner Helden den Widerstand der Betroffenen. Ich ärgerte mich sehr über die Heuschrecken, denn obwohl der Sachverständigenrat ihnen sogar bescheinigte, dass die Firmen, die sie übernommen hatten, »überdurchschnittlich wachsen, mehr Arbeitsplätze schaffen und einen höheren Forschungsanteil aufweisen« 20 , standen naturgemäß die üblen Praktiken in einigen Fällen im Mittelpunkt des Medieninteresses. Doch die arroganten Finanzjongleure hatten es nicht nötig, sich der Gesellschaft zu stellen. Sie lebten vom Kredit der Sozialen Marktwirtschaft. Staatliche Eingriffe in ihr Schalten und Walten fürchteten sie nicht, denn es würde auch Mittelständler treffen. 21 Während ich für Reformen der Sozialversicherungen warb, brüsteten sie sich mit ihren Millionenboni.
Den Vorwurf der »sozialen Kälte« bedienten sie exzellent. Tiefer kann der ideologische Graben zwischen amerikanischem Marktradikalismus und europäischem Sozialstaat nicht sein. Mitt Romney erreichte als millionenschwerer Topmanager von Bain Capital fast 50 Prozent der Stimmen bei der letzten US -Präsidentschaftswahl, obwohl er Positionen vertrat, die bei uns als sozialdarwinistisch eingeschätzt würden. Romney stempelte den europäischen Sozialstaat als puren Sozialismus ab, während er die Reichen zu den wahren Wohltätern der Nation erklärte. Es schadete Romney also kaum, dass sein Einkommensteuersatz niedriger war als der des Durchschnittsamerikaners und er sich über die Steuerbefreiung für Arme aufgeregt hatte. Romneys Position findet sich ziemlich getreu in Max Webers Protestantischer Arbeitsethik wieder: Den »Berufslosen« fehlt der » systematisch-methodische Charakter« 22 ihrer Lebensführung, erläutert Weber diese Denkweise. In Romneys religiösem Weltverständnis sind die Berufslosen Versager, weil sie undiszipliniert sind und Zeit verschwenden. Wer arbeiten will, findet Arbeit. Die wichtigste Botschaft von Romneys Ehefrau Ann im Wahlkampf war: »Dieser Mann wird nicht versagen.« Zwar kann kein Mensch das von einem anderen behaupten, aber in einer puritanischen Kultur drückt sie damit die höchste Gewissheit der Auserwähltheit aus. 23 Sie ist sich seines Gnadenstandes sicher, außerdem ist er reich. Indem er diesen Reichtum vermehrt, leistet er mehr zur Verherrlichung Gottes als andere.
Die Nächstenliebe, so Weber, verpflichtet die Reichen nicht dazu, von ihrem Vermögen abzugeben. Denn die Armen werden dadurch nur in ihrer Trägheit bestätigt. Wer nichts hat, der darf nicht klagen, denn Armut lässt vermuten, dass die Ursache in der eigenen Lasterhaftigkeit zu suchen ist. Schon gar nicht darf der Staat mit seiner helfenden Hand Gottes Auslese korrigieren, die der Markt, als »invisible hand« Gottes, getroffen hat.
Charity ist die adäquate Form dieser Nächstenliebe. Denn während der europäische Sozialstaat alle gleich behandelt, egal aus welchem Grund sie arbeitslos wurden, also auch den Faulen, wählt bei der Charity, die steuermindernd abgezogen werden kann, der Reiche aus, wem er helfen will, so bleibt der Staat schwach und kann den Faulen nicht helfen. Romneys Ansichten, dass Erfolg einer göttlichen Bewährung gleichkommt und Misserfolg ein Zeichen der Verdammnis ist, sitzen tief im gläubigen Amerika und werden allenfalls von einigen Ostküstenintellektuellen in Zweifel gezogen. 24
Auch bei Bain Capital tat Romney nur Gottes Werk. »Nicht Arbeit an sich, sondern rationale Berufsarbeit ist das von Gott Verlangte«, erläutert Weber – und genau das machen Equity-Fonds wie Bain Capital: Nach der Maßgabe der maximalen Rendite, also der »rationalen Berufsarbeit«, werden Firmen bewertet, zerlegt und neu zusammengefügt, werden Leute entlassen, Standorte geschlossen, ein neues Management eingesetzt. Würden Romney & Co. irgendwelche sozialen Aspekte beachten, wären sie nicht rational, was einem Frevel gegen die göttliche Ordnung gleichkäme. So gehören denn auch bei Equity-Managern Profit und Charity, die Zepter von Darwin und Jesus, eng zusammen. Wir haben das schon beim kalifornischen Kapitalismus gesehen, wo sich robustes
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