Vier Äpfel
erleichtern. Für das Wechselgeld, auf das sie wartet, gibt es, das sehe ich erst jetzt, keine Schalen mehr, die Kassiererin legt die Münzen, manchmal bekommtman sie auch gleich in die Hand, auf eine Plexiglasablage neben dem Scannerfeld. Es gibt auch keine Kleingeldmagazine mehr, aus denen Münzen, von der Kassiererin ausgelöst, abgezählt herausprasseln, was sich ungefähr so anhörte, wie wenn geröstete Erdnüsse, ich meine die mit der harten, rotbraun gefärbten Zuckerglasur, in den Auswurfschacht eines Automaten fielen. 51 An diesen mit Absicht auf Kinderaugenhöhe angebrachten Automaten konnte ich nie vorbeigehen, ohne einen Groschen einzuwerfen, den Griff zu drehen, die Münze verschwinden zu sehen und mit der Hand hinter die Klappe zu fassen, um glasierte Erdnüsse oder auch Kaugummikugeln herauszuholen.
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Meine Lieblingskassiererin, wir haben uns hallo gesagt, hat endlich angefangen, meine Sachen zu scannen. Sie schwenkt den mexikanischen Honig mit der Almhütte auf dem Etikett, die Milch und die Tüte mit den Äpfeln über das Lesefeld und wiederholt ihre Handbewegung, die sie wer weiß wie oft am Tag macht, noch ein paarmal. Als sie fertig ist, fragt sie mich, ob ich eine Kundenkarte hätte,immer fragt sie mich nach dieser Karte, und immer schüttele ich den Kopf. 52 Ich reiche ihr meine Bankkarte, die sie sofort durch einen schmalen Schlitz neben dem Tastenfeld der Kasse zieht. Auf dem Display erscheint das Wort
Unbarzahlung
, und nur wenig später schieben sich zwei Belege aus dem Drucker, die sie mir zusammen mit einem Stift auf das Plexiglasbord legt. Einen der Belege muß ich unterschreiben, sie zeigt mir, das ist einer ihrer Automatismen, die gepunktete Linie, den anderen, mein Andenken, darf ich behalten. Falls ich ihn nicht hier liegen lasse oder gleich wegwerfe, finde ich ihn vielleicht in ein paar Jahren wieder und erinnere mich an diesen Nachmittag im Supermarkt. Dann vergleicht die Kassiererin, sie muß das tun, meine Unterschrift mit der auf der Rückseite meiner Karte, verstaut den Beleg in ihrer Kasse und sagt, sie lächelt wieder, danke und auf Wiedersehen.
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Vom Backstand her riecht es nach frischen Brötchen, was mir lange suspekt war, weil mir jemand erzählt hatte, dieser Geruch werde mit Hilfe einer aus chinesischem Menschenhaar gewonnenen Aminosäure namens Cystein erzeugt. Erst seit ich weiß, daß es sich um einen weitverbreiteten Zusatzstoff handelt, der das Verklumpen des Mehls verhindertund mittlerweile auch nicht mehr aus Menschenhaar gewonnen wird, rieche ich die Backwaren, die hier aus vorgefertigten Teiglingen hergestellt werden, wieder gern. Ich nehme den Einkaufswagen und schiebe ihn vor die Wand, an der die Biete-und-Suche-Zettel hängen, Blankoformulare stehen in einem kleinen, unterhalb des Bretts montierten Kästchen aus Plexiglas. Ein Kinderbett und zwei Computer sind zu verkaufen, eine Katze wird vermißt, Gesangsunterricht, Nachhilfe und Kinderbetreuung werden angeboten. Die junge Französin, die babysitten möchte, hat ein Bild von sich mit auf den Zettel kopiert, auf einem anderen lese ich
Elli geht mit Luca
. Ich packe meine Einkäufe in die Tüte, behalte den Beutel Äpfel aber in der Hand und schiebe den leeren Wagen an den flachen, auf einer Palette gestapelten Plastiksäcken Blumenerde und an den Sonderangebotsfahrrädern vorbei zurück zu den anderen, ineinandersteckenden Einkaufswagen, kuppele ihn an, nehme die Münze heraus und stecke sie zu dem Kleingeld, das in meiner Hosentasche klimpert. Dann verlasse ich den Supermarkt durch die sich vor mir öffnende Glasschiebetür und gehe hinaus ins Freie.
Berlin, November 2003 – April 2009
Informationen zum Buch
Mit vier Äpfeln fängt alles an. Ein Mann, der weniger zu tun hat, als ihm lieb ist, erlebt an der Obst- und Gemüsewaage seines Supermarkts einen magischen Moment: Die grünen Leuchtziffern zeigen 1 0 0 0. Vier Äpfel, die zusammen genau tausend Gramm wiegen? In der Hoffnung, dieser Tag werde ein besonderer sein, klebt er das Etikett mit der Strichcodezeichnung auf die Tüte und schiebt seinen Einkaufswagen weiter durch den Nachmittag.
Seine Gedanken schweifen ab in eine Zeit, als man noch in kleineren Läden andere Dinge kaufte, zu Frühergerüchen, zum gewandelten Einkaufsverhalten überhaupt. Und er erinnert sich an L., die Frau, die ihn verlassen hat.
«Vier Äpfel» handelt von einer verlorenen Liebe und der mal tieftraurigen, mal skurrilen Schönheit der alltäglichsten
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