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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wagner
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zu sehen ist. Sie steht ganz ruhig da, hat meine Blicke noch nicht bemerkt. Ich wüßte gern, was oder an wen sie gerade denkt, es wäre schön, ihre Gedanken lesen zu können. Ihr Haar hat sie mit einer Spange am Hinterkopf zu einer Art Vogelnest hochgesteckt, einige Strähnen sind herausgerutscht, es glänzt gut gebürstet, wirkt weich und wattig und frisch gewaschen, vielleicht, aber wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein, rieche ich nicht nur ihr Parfüm, sondern auch ihr Haarwaschmittel. Plötzlich bin ich versucht, sie, die fremde Frau, deren Gesicht ich noch gar nicht kenne, dort, zwischen zwei Strähnen, knapp über dem Saum ihres Kleides auf den Nacken zu küssen, aber mein Einkaufswagen ist zwischen uns. Sie bewegt ihren Kopf ganz leicht und wendet sich den Zigaretten in dem Käfig mit dem Rollgitter zu, dreht sich aber nicht zu mir um. 43 Erst jetzt sehe ich, daß die Spange, mit der sie ihr Haar so kunstvollabsichtslos zusammenhält, die gleiche Haarspange ist, die L. immer trug, ein französisches Fabrikat aus Horn oder Hornimitat. L. hatte mehrere davon, französische Originale und chinesische Kopien, eine lag immer irgendwo herum, auf meinem Nachttisch, zwischen den Kissen, auf dem Sofa im Wohnzimmer, auf dem Teppich. Manchmal brachte ich eine zurück ins Bad und legte sie zu den vielen anderen Haarspangen, Klammern und Haargummis in ein Glasschälchen dort im Regal. Wenn L. auf dem Sofa lag und nichts machte oder wir uns gemeinsam einen Film anschauten, hat sie oft mit einer dieser Haarspangen gespielt, meist hat sie den Verschlußbügel immer wieder gegen die Blattfeder gedrückt und dann hochspringen lassen, was ein metallisches Klick-Klack erzeugte. Als Kind hätte ich aus einer solchen Haarspange ein kleines Katapult gebaut, um angefeuchtete Papierkügelchen quer durchs Zimmer auf ruhende oder sich bewegende Ziele zu schießen, als Erwachsener aber sah ich L. bei ihrem Haarspangenspiel zu, dessen Geräusch ich nun, eigentlich schon lange, es ist mir nur nie aufgefallen, vermisse.
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    Je mehr ich an L. denke, desto weniger weiß ich von ihr. Sie ist nicht nur nicht mehr da, sie ist gleich ganz verschwunden. Ich habe vergessen, wie sie aussieht – die Erinnerung ist immer körperlos, als herrschte im nachhinein ein Berührungsverbot.
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    Das Haarspangenspiel ist fast immer ein Vorspiel gewesen, das Haarspangenklickklack war das Glöckchen, der Sex kam danach. Es fällt mir schwer, jetzt, hier an der Kasse, nicht an Sex zu denken. Die Träger des BHs, den die Frau vor mir anhat, zeichnen sich unter dem dünnen Stoff des Kleides ab, und schon, das geht ganz automatisch, suche ich weiter unten nach dem Unterhosenbündchen.
Slip
wollte L. nie sagen, sie bestand darauf, daß ihre Unterwäsche nur aus Unterhosen und Unterhemden und gegebenenfalls einem, sie trug nicht immer einen, BH bestand. Die Unterhose, deren Konturen ich mehr erahne als tatsächlich durch den Stoff des Kleides schimmern sehe, ist, so viel jedenfalls ist erkennbar, kein Minislip. L. störte es nicht, wenn ich andere Frauen anschaute, ja sie erklärte mir sofort, was in meinem männlichen Gehirn passiert, wenn eine schöne Frau durch mein Gesichtsfeld wandert: Es belohne mich mit einem biochemisch erzeugten Hochgefühl, ich könne also gar nicht anders, als Frauen anzuschauen, außerdem seien bedeckte Körper der Ursprung aller Imagination.
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    Die im Grunde sehr preiswerte männliche Phantasie, alle schönen Frauen in einem Supermarkt nackt zu sehen, ist mir zuletzt in einem Film begegnet, in dem der Protagonist, ein Aushilfskassierer, die Zeit anhalten und alle dadurch zu Schaufensterpuppen erstarrten Frauen eine nach der anderen ausziehen kann – was ihnen, die Kameraführung vermochte das nicht zu kompensieren, das Geheimnis ihrer Schönheit aber nicht wirklich entlockt. Nackt sahen die Frauen mit ihren Einkaufskörben und -wagen gar nichtmehr bezaubernd und wie griechische Göttinnen aus, sondern eher irdisch, einige wirkten sogar ein bißchen lächerlich. Trotzdem zweifele ich keine Sekunde daran, daß in dem leichten Sommerkleid vor mir eine Göttin steckt, jede Verhüllung ist eben ein Versprechen.
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    Meine Flötenlehrerin, eine Frau, an die ich lange nicht gedacht habe, hatte oft ähnliche Sommerkleider an. Ein paarmal hat sie mich, ich war neun oder zehn Jahre alt und haßte das Flötenspielen, in ihren Schritt sehen lassen, ich weiß nicht, ob mit Absicht oder nicht. Ich bilde mir sogar ein, ich hätte ihr

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