Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
denselben Fahrstuhl nehmen zu müssen.
Dann sagt auch er »Ciao« und geht.
Ruso lässt sich auf einen der Stühle sinken, auf dem vorhin die Ukrainer gesessen haben. Nach einer Weile geht die Tür auf und ein Page schaut herein. Als er Ruso dort sitzen sieht, will er die Tür wieder schließen, um ihn nicht zu stören, aber Ruso winkt ihn herein.
»Komm ruhig rein, Junge«, sagt er mit düsterer Stimme. »Wir sind hier fertig.«
38
Ruso öffnet den Kühlschrank und bleibt in Gedanken versunken stehen. Starrt die Fächer an, das Essen, die Flaschen. Warum ist er an den Kühlschrank gegangen?
»Mach schon, Papa.«
Ruso dreht sich zum Tisch um. Mónica und die Rusitas sehen fern. Lucrecia hat den Arm erhoben, in der Hand ein leeres Glas. Saft. Er soll den Saft holen, deshalb ist er an den Kühlschrank gegangen. Er nimmt den Tetrapack, geht zu ihnen und schenkt allen ein.
»Wurde der nicht in der letzten Folge umgebracht?«
»Nein, Papa. Das war sein Zwillingsbruder«, klärt ihn Ana auf.
»Der sah genau gleich aus«, ergänzt Lucrecia.
»Klar, sind ja auch Zwillinge.«
»Schschsch«, zischt Mónica und hebt die Hand, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden. »Nicht so laut, Dano.«
Ruso gehorcht. Der Anschiss stört ihn nicht. Im Gegenteil. Mónica hat ihn bei seinem Kosenamen genannt, und das bedeutet, dass das Universum in den richtigen Bahnen verläuft. Sofort rügt er sich selbst: Er darf sich nicht so leichtfertig freuen. Eigentlich ist Ruso ein unverbesserlicher Optimist. Aber nicht, wenn es um die Gesundheit der Mädchen und die Stimmung seiner Frau geht. Weil er sie zu sehr liebt. Wenn die Mädchen eine Erkältung haben, fürchtet er eine Lungenentzündung. Wenn sie Fieber haben, betet er und bedauert, dass es in seiner halb ererbten, halb gewählten Religion keine letzte Ölung gibt wie bei den Katholiken. Seit seine Töchter auf der Welt sind, ist das so. Und bei seiner Frau ist es ähnlich. Immer fürchtet er das Schlimmste. Da kann es noch so gut laufen, wie jetzt: Der Schmerz und die Entfremdung lauern hinter jeder Ecke.
Das Telefon klingelt. Ruso schiebt den Stuhl nach hinten, aber Mónica legt ihm die Hand auf den Arm und hält ihn zurück. »Wart erst mal ab, wer das ist.«
Ruso betrachtet Mónicas Finger. Er liebt es, wenn sie ihn berührt. Das Klingeln hört auf, als der Anrufbeantworter anspringt. Sofort ertönt die Stimme eines Mannes, eines jungen Mannes.
»Hallo. Ich würde gern mit Daniel sprechen. Hier ist Pittilanga. Mario Pittilanga. Ich –«
»Hallo!« Ruso ist die zwei Meter zum Telefon fast geflogen. »Daniel hier. Was gibt’s, Junge?«
»Schschsch! Ich hör ja gar nichts mehr!«
Daniel nimmt das Telefon mit ins Schlafzimmer der Mädchen und macht die Tür hinter sich zu.
»So, jetzt, Junge. Wie geht’s?«
»Äh … so lala. Bin ziemlich sauer, ehrlich gesagt.«
Ruso weiß nicht, was er sagen soll. Auch er ist sauer. Frustriert. Enttäuscht. In den zwei Nächten seit dem fatalen Treffen mit den Ukrainern konnte Ruso nur schwer einschlafen. Sehr schwer. Bei ihm ein Zeichen dafür, dass er innerlich aufgewühlt ist.
»Du darfst dich jetzt nicht hängenlassen, Mario. Irgendwann finden wir schon was für dich.«
»Okay, aber wäre gut, wenn es nächstes Mal besser klappen würde, wenn …«
»Hör zu, Mario, ich hab dir doch erklärt, dass wir keine Unternehmer sind, dass …«
»Weiß ich, Ruso. Ich mein auch mehr Ihren Freund, den Anwalt.«
Ruso runzelt die Stirn. Lehnt einige Kuschelbären an Lucrecias Kissen. Das mag sie so. Was fällt diesem Jungen ein, so über Mauricio zu sprechen?
»Ich versteh nicht …«
»Ich hab mit einem der Jungs gesprochen, die mit mir bei Platense gepielt haben, und der hat mir gesagt, dass das mit der Volljährigkeit nicht mehr gilt.«
»Wie, nicht mehr gilt?«
»Oder schon noch gilt, aber volljährig ist man mit achtzehn, nicht mit einundzwanzig. Wenn Ihr Freund Anwalt ist, müsste er das doch eigentlich wissen, oder?«
Ruso denkt fieberhaft nach, aber es kommt nichts dabei heraus.
»Noch was«, fügt Pittilanga hinzu, und jetzt ist ihm tatsächlich anzuhören, dass er stinksauer ist. »Warum hat er meinen Vater ausgerechnet am Abend vor dem Treffen angerufen?«
»Wann hat er ihn angerufen?« Ruso lehnt den letzten Bären an das Kissen, aber er kippt um und fällt auf den Boden. Er lässt ihn liegen.
»Dienstagabend.«
»Wollte er dich oder deinen Vater sprechen?«
»Meinen Vater. Ich bin nur drangegangen, weil ich
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