Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
sich mit der gleichen Sorgfalt um die Beete gekümmert, die sie auch für alles andere verwandt hat. Fernando erinnert sich noch an die Sommernachmittage, an denen sie ihm auftrug, die Beete abzuschreiten und die Pflanzen zu gießen, während sie als Belohnung eine fürstliche Vesper vorbereitete.
Mono hatte sie so leider nicht kennengelernt. Als er alt genug war, setzte ihrer Großmutter bereits eine Arthrose zu, und sie war nicht mehr dieselbe. Vielleicht lag es aber auch gar nicht an der Krankheit, vielleicht hatte die Nähe zwischen ihr und Fernando andere, tiefere Gründe, ihren ähnlichen Charakter, ihre ähnliche Art, die Dinge zu handhaben.
Von wegen ähnliche Art, die Dinge zu handhaben. Arme Oma. Den welken Pflanzen nach zu urteilen, hat sie sich doch den falschen Enkel ausgesucht. Eigentlich hätte er neue setzen müssen. In die Gärtnerei fahren und welche kaufen. Hat er aber nicht: Sich um die Pflanzen zu kümmern empfindet er als Pflicht, ein Tribut an das Andenken an die alte Frau, die er so sehr geliebt hat. Er macht es nicht aus Freude. Und wenn er noch genauer darüber nachdenkt, dann fragt er sich, was er überhaupt aus Freude macht und nicht aus Pflicht. Aber besser nicht zu sehr darüber nachdenken, denn es ist fast dunkel, er hat Halsschmerzen vom Unterrichten und fühlt sich einsam.
Mit der Eingangstür verfährt er ähnlich wie mit der Tür zum Grundstück. Er tritt ein, legt Mantel und Rucksack auf den Tisch und geht zum Bad. Als er am Anrufbeantworter vorbeikommt, bemerkt er, dass das Licht blinkt, und drückt auf den Knopf. Er geht trotzdem ins Bad und hört sich von dort aus die Nachricht an. Sie ist von Alicia, der Mathematiklehrerin, die ihn bei der letzten Vollversammlung in der Schule vor aller Augen angebaggert hat. Er überlegt, ob es sich lohnt, sie zurückzurufen. Ja, denkt er, aber nicht heute Abend. Lieber morgen.
Er streift sich die Schuhe von den Fersen, geht ins Schlafzimmer und legt sich aufs Bett. Dann schaltet er den Fernseher an und sucht die Sportsender. Im dritten wird eine Partie American Football übertragen. Er nimmt sich vor, eine Weile zuzusehen, vielleicht versteht er dann die Regeln und kann ein bisschen mitfiebern, aber nach fünf Minuten ist ihm sterbenslangweilig. American Football und Baseball, Mamma mia … Offensichtlich kann eine Nation Supermacht sein, obwohl ihre Lieblingssportarten zum Einschlafen sind. Im vierten Sender stößt er auf Fußball. Endlich. Eine Partie aus Europa. Anhand der eingeblendeten Kürzel versucht er zu erkennen, um welche Mannschaften es sich handelt, aber es gelingt ihm nicht. Auch die Trikots sagen ihm nichts. Bei einer Nahaufnahme fällt ihm ein argentinischer Spieler auf. Wie heißt er noch? Er hat ihn schon tausendmal gesehen. Ex-Central oder Ex-Newells. Wie heißt er noch, verdammt? Er trägt das Haar jetzt länger, bindet es zu einem Zopf. Das Spielt steht null zu null.
Fernando geht zum Kühlschrank, holt ein Bier heraus. Dann legt er sich wieder aufs Bett. Sein Blick fällt auf den Nachttisch. Außer der Lampe stehen dort drei Fotos. Auch als er verheiratet war, standen sie auf seinem Nachttisch. Und jetzt, wo er im Haus seiner Großmutter wohnt, stehen sie wieder da. Die beiden kleineren haben den gleichen Rahmen und sind schwarzweiß: seine Mutter und sein Vater, die ihn stumm anzusehen scheinen. Fernando sieht ebenso stumm zurück. Das dritte Foto ist etwas größer und in Farbe. Er nimmt es, lehnt sich zurück und stellt es sich auf die Brust, um es besser sehen zu können. Vier Jungs im Alter von elf oder zwölf und ein Fußballspieler knapp über zwanzig. Einer der Jungs ist er selbst. Er steht ganz links, aus der Perspektive der Fotografierten betrachtet. Neben ihm steht Ruso. Ganz rechts Mauricio und neben ihm Mono. Der in der Mitte ist Ricardo Enrique Bochini, ihr absolutes Idol. Bochini im Trikot von Independiente. Rot. Aus Baumwolle, wie damals üblich. Rote Hose. Rote Strümpfe, schwarze Fußballschuhe. Auch er lächelt, aber nur mit dem halben Gesicht. Es ist nicht schlecht, dieses Lächeln, aber nichts im Vergleich zu ihrem, das strahlend ist. Sie haben es geschafft. Ein Fotograf von El Gráfico hat ihnen den Gefallen getan.
Die Idee hatte Ruso. Wie immer. Und Mono war sofort Feuer und Flamme gewesen. Er hingegen hatte tausend Einwände gehabt. Der Zaun, die Polizeihunde, dass Bochini das nie machen würde, dass sie gar keine Kamera hätten. Mit ihrem grenzenlosen Optimismus wischten Ruso und Mono
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