Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
erlebt.«
»Pech für dich, Cristo. Jetzt kriegst du eben vier Jahre Depri ab.«
Cristo steht auf, weil Chamaco ihm Zeichen macht, dass er ihn braucht, aber er zögert noch, als suchte er nach einem tröstenden Wort. Er findet aber keins oder hat Angst, Ruso zu nahe zu treten. An der Tür begegnet er einem jungen Kerl, großgewachsen, dunkel, Sportkleidung. Weil Cristo nicht weiß, dass es Mario Juan Bautista Pittilanga ist, nickt er ihm nur kurz zu und geht weiter. Pittilanga murmelt Guten Tag und klopft dann zweimal innen an den Türrahmen.
»Was für eine Überraschung! Was gibt’s, Junge?« Ruso eilt auf ihn zu und drückt ihm die Hand, überlegt kurz und umarmt ihn dann. »Woher hast du die Adresse?«
»Aus dem Internet.«
»Ich wusste gar nicht, dass wir im Internet sind.«
»Doch. Im Internet findet sich der absurdeste Quatsch.«
»Ich hoffe, du meinst damit nicht diese wunderbare Waschanlage.«
Ruso sagt es im Spaß, und so versteht es der Junge auch, denn er lächelt offen.
»Lust auf ein bisschen PlayStation? Gleich ist Mittag, da machen wir eine Stunde zu und spielen uns die Finger wund. Du könntest mit Feo ein Team bilden.«
»Feo?«
»Ja, der hübsche Kerl da drüben mit dem Staubsauger. Bist du dabei?«
»Also, na ja. Weiß nicht. Vielleicht könnten wir stattdessen einen Kaffee trinken. Gibt’s was in der Nähe? Dann könnten wir in Ruhe reden.«
Ruso ist etwas erstaunt über den Vorschlag, aber er nimmt ihn schnell an. Er will nicht, dass der Junge sich unwohl fühlt. Dass sein Vater ein Arschloch ist, dafür kann er ja nichts. Außerdem ist er nicht der Einzige, der in seinem engeren Umfeld mit einem Arschloch zu tun hat.
»Ja, okay. Zwei Straßen weiter ist eine Tankstelle mit einem kleinen Supermarkt. Der hat auch einen Imbiss, wo man sich hinsetzen kann.«
Sie verlassen die Waschanlage, überqueren die Straße und gehen schweigend den Bürgersteig entlang. An der Kreuzung biegen sie ab, sagen aber immer noch kein Wort, als wüssten sie nicht so recht, wie sie das Thema anschneiden sollen. Was immer das Thema ist. Schließlich gibt sich Ruso einen Ruck. »Wie geht’s dir, Mario?«
»Gut. Heute Abend fahr ich zurück. Bermúdez hat mir erlaubt, noch ein paar Tage hierzubleiben. Wegen der Familie und so.«
Das Wohlwollen hat seine Gründe, denkt Ruso: zehn Prozent Kommission. Andererseits: zehn Prozent von null. An der Tankstelle kaufen sie zwei Kaffee, die ihnen ein Mädchen mit roter Schirmmütze auf einem Plastiktablett serviert. Weil der Tisch wackelt, müssen sie aufpassen, dass die Tassen nicht überschwappen.
»Achtung: Der Kaffee hier ist wie unraffiniertes Schweröl«, sagt Ruso, nachdem er an seinem genippt hat.
Pittilanga nimmt einen Schluck. »Stimmt. Hoffentlich ist die Toilette offen.«
»Keine Angst. Ich führ dich nur an Orte mit 1-A-Qualität. Schließlich bist du ein Investment. Unser Goldjunge.« Ruso nimmt einen weiteren Schluck. »Worüber lachst du?«
»Über das mit dem › Goldjungen ‹ .«
»Ist mir plötzlich eingefallen. So wurde mal ein Spieler von Boca genannt, in den Dreißiger-, Vierzigerjahren. Mir gefällt der Spitzname. Ist doch schön, oder? Unschuldig, was weiß ich. Hab ich mal in einer Erzählung von Soriano gelesen.«
»Wie heißt der?«
»Soriano? Osvaldo. Hast du nie was von ihm gelesen?«
»Nein, der Spieler. Der › Goldjunge ‹ .«
»Uh, da fragst du mich was. Liegt mir auf der Zunge … War ein italienischer Name. Wie deiner, oder?«
»Meiner?«
»Ja. Pittilanga. Ist auch italienisch.«
»Kann sein.«
»Du solltest mal deinen Vater fragen.«
Der Junge verzieht das Gesicht. »Lieber nicht«, sagt er, aber Ruso spürt, dass der Junge genau darüber reden will.
»Ihr seid euch ziemlich ähnlich.« Ruso hebt die Hände, um zu erklären, was er meint: Beide sind groß und breit, richtige Hünen. Auch die dunkle Hautfarbe haben sie gemein, die Haare, die aussehen wie Schweinsborsten. Allerdings fällt ihm nicht ein, wie er Letzteres in Mimik und Gestik übersetzen soll.
»Ja, das sagen alle«, gibt der Junge zu, in einem Ton, der verrät, dass er es nicht gerade als Kompliment versteht.
Sie trinken schweigend den Kaffee zu Ende.
»Ich … Mein Vater …« Er stockt, muss neu ansetzen. »Ich hätte nie gedacht, dass mein Vater so einen Aufstand machen würde. Jedenfalls anfangs nicht. Andererseits ist er bei dem Thema schon oft an die Decke gegangen.«
»Bei welchem Thema?«
»Ihr, Bermúdez, das Umfunktionieren zum
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