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Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)

Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)

Titel: Vier Jungs auf einem Foto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduardo Sacheri
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Verteidiger, der Transfer.«
    »Na ja, so ganz ausgegoren war die Sache ja auch nicht.«
    »Nein, aber … Du kennst meinen Vater nicht.«
    Zum Glück, denkt Ruso, sagt es aber nicht.
    »Mein Alter glaubt, ich bin der neue Maradona oder Messi. Oder was weiß ich.«
    Pittilanga hält den Blick gesenkt. Aus Scheu, denkt Ruso zunächst. Aus Scham, wird ihm dann klar.
    »Na ja«, versucht Ruso zu beschwichtigen. »Väter sind eben so. Jeder Vater glaubt, dass seine Kinder was ganz Besonderes sind.«
    »Nein, so mein ich das nicht. Vielleicht auch. Aber ich will noch auf was anderes raus.«
    Wieder schweigen sie. Ruso tut der Junge leid, aber er spürt, dass er da allein durchmuss. Wenn er denn kann.
    »Mein Vater ist ein bisschen grob gestrickt. Wie ich. Oder schlimmer. Ist nach der Grundschule abgegangen. Ich hab’s immerhin bis zur siebten Klasse geschafft. Er nicht. Zu Hause sind wir sechs Geschwister. Erst kamen drei Mädchen, dann ich und mein Bruder, dann noch ein Mädchen. Ich bin also der älteste Sohn.«
    »Spielt dein Bruder auch Fußball?«
    »Jonathan? Nein, wo denkst du hin … Meine Mutter hat ihn … was weiß ich. Jedenfalls hängt er immer an ihrem Rockzipfel. In der Schule ist er richtig gut. Hat wirklich Grips. Will mal Pfleger werden. Aber meine Eltern streiten immer, weil mein Papa sagt, dass er noch schwul wird, wenn sie ihn weiterhin so verhätschelt.«
    »Und? Ist er schwul?«
    Pittilanga sieht ihn an, als wäre er sich nicht sicher. »Jedenfalls bin ich für meinen Vater so eine Art … eine Art …«
    »Vorbild?«
    »Vorbild? Nein, eher … Wie sagt man, wenn jemand will, dass einer das macht, was man selber will? Auf Teufel komm raus? Wenn er nicht lockerlässt?«
    »Ich weiß nicht, ob’s dafür ein Wort gibt, aber ich versteh dich auch so.«
    »Gut. Mein Vater hat mich immer zum Training gebracht, seit der E-Jugend. Mit dreizehn zum Probetraining bei Platense. Und so ging’s immer weiter.«
    »Man könnte auch sagen, er hat immer an dich geglaubt.«
    »Ja, schon, aber es war nicht, wie soll ich sagen, es war nicht positiv. Eher ein Zwang. Verstehst du?«
    »Er hat dich gezwungen?«
    »Schön wär’s! Nein! Ich hab mich selbst gezwungen! Mein Alter hat die Schicht gewechselt, nur damit er mich nachmittags zum Training fahren konnte. Hat um vier Uhr morgens angefangen, jeden Tag, damit er ab Mittag frei hat. Verstehst du? Und später dann, nachdem man ihn entlassen hat, war’s noch schlimmer. Da hat er sogar Jobs abgelehnt, weil sie sich mit meinem Training überschnitten haben.«
    Das Mädchen von der Kasse geht um ihren Tisch herum zu einem Regal, um es aufzuräumen und zu putzen. Kurz sind sie abgelenkt, weil sie ihr auf den Hintern starren.
    »Konnte deine Mutter denn nicht?«
    »Konnte was nicht?«
    »Dich hinbringen.«
    »Nein. Meine Mutter war diejenige, die uns über Wasser gehalten hat. Mit Putzen. Meinen Vater hat das ganz krank gemacht. Ihm wär’s lieber gewesen, sie wäre zu Hause geblieben. Aber das ging nicht. Also hat er alle Hoffnung auf mich gesetzt, verstehst du? Einmal … Ist nur ein Beispiel. Einmal mussten wir gegen Boca antreten. Alle Jugendmannschaften. Ich war damals vielleicht fünfzehn Jahre alt, jedenfalls noch zu klein, um allein hinzufahren. Wir wohnten ewig weit weg von Platense, ganz zu schweigen von La Boca, wo das Ganze stattfinden sollte. Um zwölf sollten wir da sein, an einem Freitag. Als hätte an einem Freitagmittag niemand was Besseres zu tun. Na ja, irgendeiner in der Familie hat ja immer Zeit und bringt die Kinder hin. Der Vater, der Großvater. Wenn nicht, ein Nachbar. Nur bei uns konnte keiner meinen Vater ablösen. Jedenfalls bringt mich mein Vater hin, pünktlich um zwölf, und wir kommen auf die Liste. Ich hab erst später erfahren, dass er damals gerade in einem Lottoladen angefangen hatte und immer von sechs bis zehn garbeitet hat, weil der Laden am Bahnhof war und die Leute nach der Arbeit schnell noch einen Schein ausgefüllt haben. Viel Kohle gab’s nicht, aber besser als gar nichts. Jedenfalls waren wir rechtzeitig da, der Trainer hat uns in die Liste eingetragen und dann erst mal weggeschickt, weil die B-Jugend gerade gespielt hat. Danach war die C-Jugend dran. Dann die D-Jugend. Dann die E-Jugend. Und dann erst wir. Mein Vater wurde immer nervöser, weil er gemerkt hat, dass er nie im Leben rechtzeitig zurück sein würde. Und er konnte ja nicht gleich in der zweiten Woche zu spät kommen. Also saß er den ganzen Nachmittag über

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