Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
seine Bedenken einfach beiseite. Und Mauricio? Was hat Mauricio damals gemacht? Wahrscheinlich gar nichts. Oder er hat sich überlegt, wie er Bochini zu einem Foto mit ihm allein überreden könnte. Jetzt werde ich ungerecht, denkt Fernando. Vielleicht betrachte ich den Mauricio von damals durch die Brille des Mauricio, wie er heute ist. Vielleicht war er nicht immer so, vielleicht hat er sich seitdem einfach verändert.
Während Ruso ihn noch zu überzeugen versuchte, kletterte Mono schon den Zaun hinauf. Und ehe sie sichs versahen, war er auf der anderen Seite. Als älterer Bruder blieb ihm nichts anderes übrig, als ihm zu folgen: um ihn zu beschützen oder ihm eine zu scheuern, weil er nicht auf ihn gehört hatte. Vorher aber musste er springen. Als sie auf dem Rasen landeten, kam Independiente aus der Kabine. Ruso beschwatzte den Fotografen. Und Mono Bochini, der sie erst mit einer gewissen Scheu ansah und dann nickte.
Fernando betrachtet die Gesichter näher. Der Fotograf war zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Klar, sagt Fernando sich, als Reporter für den Gráfico muss man den Finger immer am Auslöser haben. Alle vier lächeln. Alle fünf, wenn man Bochini mitzählt. Fernando sucht in den Gesichtern dieser Jungs die Erwachsenen, die sie heute sind. Fragt sich, was heute noch so ist wie damals. Was auf der Strecke geblieben ist. Tja, auf der Strecke geblieben ist zunächst mal einer von ihnen. Mono ist nicht mehr da. Das Leben ist ein Scheiß, weil es zulässt, dass ein Junge so glücklich sein kann, mit der Hand auf der Schulter von Ricardo Enrique Bochini, und dass diese Freude dann erlischt und stirbt, einfach so.
Fernando stellt das Foto wieder auf den Nachttisch zurück. Das Spiel im Fernsehen steht immer noch null zu null.
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»Aber … Hast du nicht gesagt, dass Fernando derjenige war, dem es beschissen ging? Und jetzt sagst du, es war Mauricio. Ich versteh gar nichts mehr.«
Ruso sieht ihm in die Augen. Das ist das Problem, wenn man nur die halbe Wahrheit sagt: Keiner begreift es. Andererseits will er auch nicht die Gerüchteküche anheizen. Wenn er es Mónica nicht gesagt hat, wenn er es Fernando nicht gesagt hat, dann wird er es auch Cristo nicht sagen. Und schon gar nicht, solange alles noch so unklar ist. Er weiß nur, dass Mauricio sie verraten hat, aber er weiß nicht, warum. Es ergibt keinen Sinn.
»Ach, Cristo. Was weiß denn ich. Ist halt eine Scheißsituation.«
Sie schweigen eine Weile. Draußen ackern die Angestellten. Ein Auto fährt vor, und Cristo geht raus, um den Auftrag entgegenzunehmen. Als er wieder zurück ist, verkündet er, dass sie mit dieser Wäsche den Monatsrekord geknackt haben. »Heute ist der fünfundzwanzigste, und wir haben jetzt schon mehr Autos gewaschen als im vergangenen Monat, der bisher unser bester war. Wir werden immer erfolgreicher, Ruso.«
Ruso lächelt, aber es ist ihm anzusehen, dass ihm das auch nicht weiterhilft.
»Was gedenkst du zu tun?«, nimmt Cristo den Faden wieder auf.
»Ich? Nichts. Was soll ich denn machen?«
Cristo setzt sich wieder. Er kennt Ruso nun schon seit vier Jahren, aber so hat er ihn noch nie erlebt. Und das sagt er auch.
»Wie, so?«
»So niedergeschlagen.«
Ruso lacht lustlos. »Darf man nicht auch mal schlecht drauf sein?«
»Klar darf man. Aber du? Du bist doch sonst immer so gut gelaunt. Selbst wenn alles scheiße läuft. Mit der Waschstraße, da hast du doch anfangs auch ziemlich schwarzgesehen, oder?«
»Uh. Wenn du wüsstest, wie ich war, bevor ich die Waschanlage aufgemacht hab. Seither geht’s mir so gut wie noch nie. Du hättest mich mal erleben sollen, als ich den Hähnchengrill hatte.«
»Du hattest mal einen Hähnchengrill?«
»Ich hatte schon alle möglichen Geschäfte. Hab ich dir nie davon erzählt?«
»Doch, einiges. Aber nie vom Hähnchengrill.«
»Lieber ein andermal. Wenn ich dir jetzt vom Hähnchengrill erzähle, schmeiße ich dich womöglich mit einem Kuss auf die Stirn raus. Oder halte dir den Hochdruckreiniger an die Schläfe.«
»Trotzdem, komisch, dich so zu sehen. Du bist der Einzige, der eigentlich immer gut gelaunt ist.«
Ruso streckt sich. Es ist ihm etwas unangenehm, dass sie so viel über ihn sprechen.
»Vielleicht hab ich ja eine bipolare Störung. Du weißt schon, wenn’s einem dreckig geht und man dann plötzlich wieder die ganze Welt umarmen möchte.«
»Wer’s glaubt, wird selig, Mann. In den vier Jahren, die wir uns kennen, hab ich dich noch nie depressiv
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