Vier minus drei
schenken und meine Sorgen erzählen darf. Keine Kinder mehr, die ich in den Arm nehmen kann.«
Aber …
Die Dame in schwarz öffnet, so stelle ich mir vor, den Mund. Vielleicht will sie etwas erwidern wie
»Glauben Sie etwa, Sie sind die einzige, die …«
Aber ich lasse es nicht so weit kommen.
»So vieles ist geschehen, das ich nicht ändern kann. Erlauben Sie mir also, all das mit Freuden in Empfang zu
nehmen, was das Leben mir schenkt, nachdem es mir so viel genommen hat.
Vielleicht hat Ihnen das Leben nicht nur Ihre eigenen Verwandten genommen, sondern auch die Fähigkeit, Freude zu empfinden. Das würde mir sehr leid tun, denn damit wäre Ihnen, glaube ich, sogar noch mehr genommen als mir. Ich hätte großen Respekt vor Ihrem Kummer und würde gern alles tun, um Ihnen zu helfen oder Sie zu trösten.
Falls aber Sie selbst es sind, die es sich nicht mehr gestattet, fröhlich zu sein, dann möchte ich Sie fast auf Knien anflehen: Geben Sie sich selbst wieder die Erlaubnis, es wäre allzu schade um Ihr schönes Lächeln, das Ihnen Gott schon bei Ihrer Geburt und noch vor allen anderen Dingen geschenkt hat!«
Meine Gedanken sind jetzt doch etwas außer Atem gekommen. Ich halte inne. Bevor ich mich wieder von den beiden Damen abwende, danke ich ihnen noch für ihr Erscheinen. Dafür, dass sie bereit waren, eine undankbare Rolle zu übernehmen und mir zu zeigen, dass mein Weg, so richtig er mir auch erscheint, nicht jedem gefällt und nicht für alle Menschen nachvollziehbar ist.
Es wäre ein langes Gespräch geworden damals. Ich wäre glatt noch zu spät gekommen zum Fest für die Seelen meiner Lieben.
Ehe ich die Aufbahrungshalle betrete, richte ich meinen Blick gen Himmel. Auf einer Wolke meine ich drei Engel sitzen zu sehen … Drei Neuankömmlinge, die noch vor kurzem Heli, Thimo und Fini hießen. Was mögen die drei nur denken? Wie mag es ihnen gehen?
Wenn Engel trauern
Der Samstag ist ein wunderbarer
Tag zum Feiern, das ist klar.
Auch wenn heut keiner feiern mag,
weil nichts mehr ist, so wie es war.
(Wann ist denn alles wie beim alten?
War das jemals einmal so?
Nichts, nein, nichts ist je zu halten -
manchmal macht uns das doch froh!)
Auf dem Fest, das keiner mag,
sehn sich drei der Gäste um.
Schau’n auf ihren eignen Sarg,
fragen sich nur eins: warum
weinen alle gar so sehr,
wo das Fest doch wunderschön?
Sieht man uns denn gar nicht mehr,
will man uns denn nicht mehr sehn?
Doch die vielen, vielen Augen
schauen auf den falschen Fleck,
sehen nur, was nicht mehr da ist,
glauben, es sei alles weg.
(Was einer allzusehr vermisst,
sucht er oftmals stundenlang.
Wenn er aufs Suchen erst vergisst,
dann findet er’s meist – Gott sei Dank)
Keiner wollte zu dem Fest fahrn,
weil kein Grund zum Feiern war.
Nur die drei, die nicht mehr da warn -
die warn wirklich gerne da.
Ich stehe mittlerweile hilflos und überfordert in einer Ecke der Aufbahrungshalle. Aus der Tonanlage erschallt schon zum x-ten Mal dasselbe Lied. »Mary don’t you weep no more«. Es war für den Einlass geplant, der nun aber kein Ende nehmen will. Die Schlange der Besucher reißt einfach nicht ab. Väter, Mütter, Kinder, Clowns drängen herein. Es hilft nichts, die letzten freien Plätze sind schon lange besetzt. Ich hatte Heli ein volles Haus gewünscht. Da ist es nun. Übervoll.
Die Engel auf der Wolke sprechen mir Mut zu.
Dreh die Musik einfach ab und fang an.
Ich folge ihrem Rat und gehe nach vorn.
Die Verantwortung lässt mich ruhig und gefasst werden. Ich sehe es als meine Aufgabe an, den Anwesenden etwas zu schenken. Eine unvergessliche Erfahrung. Helle Gedanken, Hoffnung. Auch ich brauche sie dringend.
Ich habe für die Eröffnung eine Geschichte mitgebracht: »Die sehr alte Seele«.
Sabine liest sodann mit tränenerstickter Stimme ein Gedicht von Harry Scott Holland vor: »Alles ist gut.«
Mein Vater erzählt Thimo ein letztes Mal die Gutenachtgeschichte, die Thimo so sehr liebte, dass er sie immer wieder hören wollte und sie in letzter Zeit schon auswendig konnte. Die Clowns hören mit großen Augen und offenen
Mündern zu, ebenso wie Thimos und Finis kleine Freunde.
Die Trauergäste sind berührt von dem, was geschieht. Man weint, man schnäuzt sich, man sieht betreten zu Boden. Ich, die Zeremonienmeisterin, fühle nichts. Hake innerlich Programmpunkte ab.
Tränen. Gut.
Musik. Passend.
Eine Geschichte. Richtig. Wie geplant.
Predigt, Lesung, Fürbitten.
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