Vier minus drei
Gleisdorfer Innenstadt.
Ich habe ja noch etwas Zeit. In zehn Minuten muss ich im Bestattungsinstitut Eden erscheinen, um meine Pläne für die Beerdigung bekanntzugeben. Ich zahle, schiebe den letzten Krümel Keks in den Mund und mache mich auf den Weg.
»Witwe.«
Das Wort klettert unhörbar über meine Lippen. Schaudernd schüttle ich den Kopf. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.
Ich strecke die Hand aus, um die Tür des Bestattungsinstituts zu öffnen, zögere einen Moment. Unruhe erfasst mich. Warum nur? Heute morgen im Bett, vor dem Aufstehen, wusste ich noch ganz genau, wie ich die Feier haben will: hell und fröhlich, mit Luftballons, Clowns und lauter Musik, ein unvergessliches Erlebnis für meine unsichtbare, lustige Familie.
Für Heli, der sogar in verzwickten Situationen nie den Humor verloren hat. (Sein eigenes Begräbnis würde nun wohl die verzwickteste Situation werden, die man sich nur denken konnte).
Eine Party für meine Engelskinder. Und ihre irdischen Freunde.
Und ein Fest für mich. Ich will im großen Kreis meiner Freunde Kraft tanken. Die Tränen werden sowieso kommen, ganz ohne Einladung. Die Lebensfreude und das gemeinsame Lachen sollen hingegen meine Ehrengäste sein.
Nun, da ich durch die Glastüre trete, kommen mir meine Luftballonträume plötzlich deplatziert vor.
Ich bin nervös. Es passt nicht zu mir, dieses Büro, in dessen Auslage lauter Urnen stehen. Ich passe nicht in dieses Büro. Überhaupt nicht. Ich bin doch viel zu jung, viel zu … lebendig.
Mein Blick fällt auf drei Särge, die an der Wand lehnen, mit Messingkreuzen, schwarzen Schleifen und Totenbildern geschmückt.
Werde ich mich verständlich machen können? Keine Särge. Keine Orgelmusik. Keine Trauerkleidung. Darf man das überhaupt?
Ich bin überrascht, wie jung der Mann ist, der sich hinter dem Empfangstisch erhebt und mir formvollendet einen Platz anbietet.
Wie wird man eigentlich Bestatter ? Erbt man diesen Beruf vom Vater? Sucht man ihn sich freiwillig aus?
»Ein Glas Wasser?«
»Ja, danke.«
Ich schiebe eine dicke Mappe mit Dokumenten über den Tisch. Der Bestatter blättert eine Weile. Zeit, mich umzusehen.
Ein Katalog mit Särgen. Traueranzeigen. Grabkerzen.
»Haben Sie besondere Wünsche für die Särge?«
»Äh, ich möchte keine Särge. Nur Urnen.«
Ich werde aufgeklärt. Für das Fest brauchen wir Särge. Die Verbrennung erfolgt erst viel später, ohne Publikum. Die Urnen werden zu mir nach Hause geliefert, wo sie einen würdigen Platz finden sollen.
Ich wähle die billigsten Särge. Weiß. Das gefällt mir ohnehin besser als der ganze Tand.
»Was werden die drei Toten tragen?«
Eine alltägliche Frage. Für den Herrn in Schwarz. Ich beginne zu schwitzen, als säße ich in der Millionenshow. Dabei weiß ich, wie die richtige Antwort lauten würde.
Hochzeitsanzug. Erstkommunionshemd. Leinenkleidchen.
Doch ich habe andere Pläne. Ich hole tief Luft. Meine Stimme klingt nicht so überzeugt, wie ich es gern hätte.
Doch der Bestatter überrascht mich. Er nickt einfach nur verständnisvoll. Als sei es die natürlichste Sache der Welt, dass mein kleines Mädchen auf seiner letzten Reise nichts als sein kakaobeflecktes Biene-Maja-Nachthemd und rosarote Gummischuhe tragen soll. Und das volle Milchfläschchen, das ich Fini als Grabbeigabe mitgeben will? Auch das kein Problem.
Tut er nur so, oder sind meine Wünsche tatsächlich nicht abnormal?
Vielleicht bin ich selbst zu streng mit mir? Ich fahre fort:
Heli, dem beim Schlafen immer so kalt gewesen ist, braucht dort oben im Himmel ganz dringend dicke Socken an den Füßen. Und ein paar Papiertaschentücher. Des Weiteren will ich ihn mit einem Holzfällerhemd und einer Handwerkerhose ausstatten. Wer weiß, was es dort oben alles zu reparieren gibt?
Mein Sohn schließlich soll unter der Begleitung von Batman persönlich, gleich in dreifacher Ausführung auf T-Shirt, Schweißband und Hose, das Fliegen lernen. Sein Stofftier Cosmo, ein grüner Außerirdischer, möge ihn begleiten. Er kennt sich da oben hoffentlich gut aus und wird Thimo den Weg zeigen.
»Gut. Bringen Sie die Sachen einfach morgen vorbei.«
Der Bestatter geht zur Tür.
Fertig? War das schon alles?
Oder werde ich etwa doch noch wegen unsittlicher Einfälle hinausgeschmissen?
Nein, ich werde höflich gebeten, mitzukommen. Wir wollen die Aufbahrungshalle besichtigen.
»Haben Sie Musikwünsche?«
Ich krame in meiner Tasche. Gestern Abend habe ich eine CD
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