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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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gebrannt.
    »Hier.«
    Ich weiß nicht, ob in der grauen Halle jemals zuvor das Lied von Pippi Langstrumpf erklungen ist. Oder Bruce Springsteen, der »Old Dan Tucker« röhrt.
    Ich setze zu einer Erklärung an, etwas wie: Heli und die Kinder haben im Auto immer diese Musik gehört, vermutlich auch, als Heli in den Zug gef…
    Die Rechtfertigung ist aber offenbar gar nicht nötig. Ich ernte freundliche, aufmunternde Blicke. Alles im grünen Bereich.
    Vielleicht sind Beerdigungen neuerdings gar nicht mehr so verstaubt, wie ich dachte? Vielleicht liege ich voll im Trend?
    »Wer wird die Feier moderieren?«
    Moderieren! Daran habe ich noch überhaupt nicht gedacht.
    Keine Sekunde überlege ich, an wen ich diese Aufgabe delegieren soll. Selbstverständlich werde ich das übernehmen. Ich vertrete doch Heli und meine Kinder hier auf Erden. Wer soll bessere Worte finden als ich, die ich Tag und Nacht mit ihnen verbracht habe? Die ich mit ihnen bis zum Tor des Himmels gegangen bin?
    Wer außer mir könnte dafür sorgen, dass die Feier nicht zu traurig wird?
    Und außerdem: Wie soll ich die Feier überstehen, wenn ich nichts zu tun habe?
    »Ich«, erkläre ich also, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Gut. Gibt es sonst noch etwas, das Sie brauchen werden?«

    Die letzte, schwerste Hürde.
    »Ich bräuchte noch eine Umkleidemöglichkeit für etwa fünfzig Clowns, wenn möglich mit Waschbecken und Spiegel.«
    Schon wieder ein Nicken. Bin ich hier im Beerdigungs-Schlaraffenland? Habe ich aus Versehen bloß ein paar Blumenvasen und einen Notenständer bestellt?
    Nein, tatsächlich öffnet sich da eine Tür. Ein Wunder? Ein Geschenk des Himmels? Es will mir fast so scheinen. Ich sehe in eine hübsche Garderobe. Spiegel, Licht, Kleiderhaken, alles da.
    »Hier zieht sich normalerweise der Pfarrer um. Sie können den Raum gern benutzen.«
    Der Pfarrer!
    Siedendheiß fällt mir ein, dass Helis Eltern den Pfarrer aus ihrer Heimatstadt eingeladen haben, eine Predigt zu halten. Wird auch er sich hier umziehen wollen? Ich stelle mir vor, wie er irgendwo zwischen Schminktiegeln, Federboas und Ukulelen, inmitten aufgeregter, halbnackter Clowns mühsam seinen Ornat überstreift und die Welt, den Himmel und vor allem die Menschen nicht mehr so recht versteht.
    Ich ziehe es vor, den Gedanken zur Seite zu schieben. Der Pfarrer wird schon ein Plätzchen finden, aber Clowns ohne Garderobe können ganz schön unleidlich werden.
    »Danke, das ist ein toller Raum.«
    Wir gehen zurück ins Büro. Ich nehme meinen Mantel und verabschiede mich. Sieht man mir an, wie erleichtert ich bin?

    Bis heute weiß ich nicht, was einen Menschen dazu bringt, Bestatter zu werden. Ich ziehe an dieser Stelle meinen Hut vor den Angehörigen dieser Zunft.
    Ob meine Wünsche extravagant waren oder in einem üblichen Rahmen, das habe ich nie erfahren. Alles war möglich, ohne Stirnrunzeln, ohne Kopfschütteln, ohne Einwand. Ich wurde einfach akzeptiert – in der Art, wie ich zu trauern wünschte. Was mir guttat, war gestattet und wurde gern gesehen. Eine Haltung, von der wir alle lernen können.
    Gestattungsinstitut, das klingt schön.

    29. März 2008, zehn Uhr
     
    Der Wecker meines Handys holt mich unsanft aus süßen Träumen. Die flotte Melodie, mit der in meinem früheren Leben fast jeder Tag begonnen hatte, kommt mir heute ganz fremd vor. Als stamme sie aus einer anderen Welt. Ich aktiviere die Schlummerfunktion und schalte mich selbst auf Standby.
    Zehn Uhr zehn.
    Es ist spät. Die Eile ist mir nur recht. So habe ich wenigstens keine Zeit, nachzudenken.
    Das Kleid, in das ich schlüpfe, liegt schon seit Tagen bereit. Dunkelrosa. Die Farbe des Herzens.
    Schau, Heli, das Kleid, das du am liebsten an mir magst.
    Die Jacke, die ich rasch darüber ziehe, ist eine Gore-Tex-Jacke und viel zu groß. Trotzdem passt sie, besser als alles andere. Helis Jacke.
     
    Ich habe in jener Zeit wohl oft ein komisches Bild abgegeben mit den viel zu großen Pullovern, T-Shirts und Hosen, die ich trug. Es war mir egal. Helis Kleidung zu tragen gab mir das Gefühl, ihn zu spüren, mit ihm zu sein. Ich konnte ihn riechen und mich daran erinnern, wie weich seine Haut gewesen war.
     
    Sabine wartet schon vor dem Haus. Gemeinsam fahren wir zum Friedhof. Auf dem Platz vor der Aufbahrungshalle tummelt sich eine Menschenmenge. Ich kenne jedes einzelne Gesicht.
    So viele Freunde habe ich? Haben wir? Wenn Heli das nur sehen könnte!
    »Bist du da?«, flüstere ich.
    Doch bevor ich Helis Antwort

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