Vier minus drei
Gesichtern Bestand hätte, kann ich sicher sein, dass ich nicht schummle und dass meine Antwort ehrlich und echt ist.
Wie würde ich Thimo und meiner »großen« Fini heute die Frage nach Gott beantworten?
Vielleicht so:
»Stell dir vor, du wärst das, was wir Gott nennen.
Und weil du Gott wärest, könntest du alles machen, was du möchtest.
Stell dir einmal vor, du könntest deinen Körper zerlegen. Dein kleiner Zeh würde, weil du es willst, durchs Zimmer hüpfen, ganz allein, bis du ihn wieder an deinen Fuß zauberst. Genau so könntest du es mit deiner Nase machen und mit deinem Ohr und sogar mit jedem einzelnen Haar.
Kannst du dir vorstellen, dass dein ganzer Körper sich zerlegt und alle Teile fröhlich durch dein Zimmer hüpfen, bis du sie wieder zu dir zurückrufst?
Ich glaube, so ähnlich hat es Gott gemacht, als er oder sie oder es die Menschen, die Tiere und die Pflanzen erschaffen hat.
Herr oder Frau Gott teilte sich einfach in furchtbar viele Teile auf und verzauberte sie ein bisschen, so dass sie jetzt aussehen wie du oder ich, wie eine Katze oder wie ein Baum.
›Du darfst jetzt machen, was du willst‹, sagte das, was wir Gott nennen, zu jedem Lebewesen.
›Ich sehe dir zu und helfe dir, wenn du mich brauchst.‹
Seinen Kopf hat sich Gott selbst behalten, denn den braucht er, um uns gut zusehen zu können. Gott braucht ihren Kopf auch, damit sie weiß, wie sie uns helfen kann, wenn wir in Not sind. Das, was wir Gott nennen, denkt ununterbrochen an uns.
Du kannst dir sicher sein, dass Gott jedes liebe Wort hört, das du einem seiner Teile ins Ohr flüsterst. Zum Beispiel einem deiner Freunde. Oder einem Käfer. Oder einem Grashalm.«
Die Grashalme in meinem Garten. Die Federn in meinem Kopfkissen. Die Sonne, die immer wieder einen vorsichtigen Blick durch den Spalt zwischen meinen Vorhängen warf. Und in alledem: Gott, das Universum, die allumfassende Weisheit. Der gütige Puppenspieler.
Sie waren es, denen ich mich anvertraut hatte. Und sie wussten:
Es ist Zeit, den nächsten Schritt zu tun.
Ich musste dazu nicht einmal das Bett verlassen. Musste mir keine kalten Füße holen. Das Leben hatte sich eine neue Strategie ausgedacht. Es klopfte wieder an. Diesmal von innen.
Drei Gäste hatte es mitgebracht:
Den Schmerz. Die Trauer. Und die Wut.
Klopfzeichen
»Was dir passiert ist, würde ich nicht überleben. Ich könnte den Schmerz nicht ertragen.«
Immer wieder habe ich das so oder so ähnlich gehört. Meistens fiel mir keine angemessene Antwort ein und ich scheiterte daran, mich zu erklären:
»Auch du würdest es irgendwie schaffen.«
»Nein, sicher nicht.«
»Weißt du, wenn etwas ganz Schlimmes passiert, bekommt man eine Kraft, von der man vorher gar nichts ahnen konnte.«
»Das glaube ich schon. Aber, nein, wenn ich meine Kinder und meinen Mann verlieren würde, dann wäre der Schmerz zu groß. Ich würde daran zerbrechen.«
»Kannst du dir nicht vorstellen, dass deine Kinder im Himmel glücklich wären? Dass sie nicht leiden und es ihnen auch nicht hilft, wenn du leidest?«
»Nein, ich könnte das nicht glauben. Es ist einfach unvorstellbar, was dir passiert ist.«
»Glücklicherweise muss man sich solch ein Unglück ja gar nicht vorstellen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass du dich jemals damit befassen musst.«
»Ja. Gott sei Dank.«
Der Schmerz. Der unfassbare, unvorstellbare, tiefe Schmerz, der uns das Herz zu zerreißen und das Leben zu zerstören droht. Ich kenne ihn gut.
Der Schmerz gehört zu uns. Er ist schlimm. Oft sind wir ihm hilflos ausgeliefert, nicht selten laugt er uns völlig aus. Und doch: Er geht vorüber, immer wieder. Auch darauf ist Verlass. Vielleicht ist es sogar das Einzige, worauf man sich mit Sicherheit verlassen kann.
Der Schmerz ist ein Gast, der ohne Ankündigung eintritt. Er fragt nicht: Guten Tag, darf ich hereinkommen?
Er schickt keine Vorwarnungen. Er kommt an guten Tagen wie an schlechten, es ist ihm egal, ob die Sonne scheint oder ob es regnet. Oft begreift man im Nachhinein, was ihn ausgelöst hat, manchmal aber auch nicht.
Zu Besuch kam der Schmerz fast ausschließlich, wenn ich allein war. Vermutlich, weil ich dann Zeit hatte, mich meinem Gefühlsleben zu widmen, und es mir erlaubte, mich fallen zu lassen. Vor meinen Freunden wollte es mir einfach nicht gelingen, die Kontrolle aufzugeben, obwohl viele von ihnen sich doch nichts sehnlicher wünschten, als eine weinende Barbara in den Arm nehmen zu dürfen, und auch ich
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