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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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Auge gesehen, und es mag mir so scheinen, als hätten mich meine Kinder ein Stück mitgenommen auf ihrem Weg, bis knapp an die Schwelle der Himmelstür. Ich durfte den einen oder anderen Blick erhaschen in die friedliche, selige, herzzerreißend schöne Welt, in die Heli und die Kinder gegangen sind.
    Mitsterben heißt das Phänomen, von dem ich auch in meinen schlauen Büchern lese. Man bleibt zurück mit einem
Glücksgefühl, das nicht von dieser Welt zu stammen scheint. Alltägliches ist nicht mehr wichtig, die Wolke sieben wird zum Schutzmantel, der, solange man ihn trägt, stärker ist als jeder Schmerz. Stärker als der Kummer. Stärker sogar als der Tod.
    »Du strahlst irgendwie.«
    So beschreiben es einige Freunde.
    »Mrs. 1000 Volt in der Lichtblase.«
    So nennt mich eine Clownkollegin neuerdings.
    Helis Mantel .
    Meine Worte für das, was ich empfinde.
    Im »Tibetischen Totenbuch« lese ich über Meditation. In dem, was da beschrieben wird, meine ich mein neues Selbst zu erkennen.
    Ja genau: Meine Gedanken sind ganz still, ich fühle mich von Licht erfüllt, dem Himmel nah. Ich bin mir der Nähe Gottes gewiss, fühle mich geborgen und sicher. Manchmal meine ich sogar, aus meinem Körper heraustreten zu können.
    Was aber wird aus dem Licht in mir, wenn ich mein Bett verlasse? Und, falls das Licht mich verlässt: Was wird dann aus mir ?
    Ich weiß nicht, an wen ich meine Fragen richten soll. An das Leben vielleicht:
    Sag mir, warum nur habe ich nicht im Clownbus gesessen, als das Unglück geschah? Warum hast du mir das Los der Hinterbliebenen zugeteilt? Was hast du noch mit mir vor?
    Das Leben antwortet nicht. Kein Wunder, es steht ja draußen, vor verschlossener Tür. Ich bleibe liegen und unterhalte mich fürs Erste lieber weiter mit denen, die mir ganz nah sind. Die sich nicht aussperren lassen. Die nicht
danach fragen müssen, ob sie willkommen sind. Heli. Thimo. Fini. Und Gott.
     
    Thimo hat mich früher oft gefragt, wer Gott eigentlich ist.
    Ich bemühte mich redlich, meinem Sohn den »lieben Gott« nicht als alten Herrn mit weißem Rauschebart zu schildern. Ich selbst habe lange darunter gelitten, dass ich mir Gott nur als Mann vorstellen konnte. So wurde ich geprägt. Doch waren Frauen etwa weiter von Gott entfernt als Männer? Es musste viel Zeit vergehen, bis ich auch die weibliche Seite des Göttlichen in meinen Glauben integrieren konnte.
    Thimo sollte außerdem erfahren, dass Gott nicht von uns getrennt ist und vom Himmel auf uns herabsieht, streng oder gütig, wie auch immer. Ich wollte nicht, dass mein Sohn im Gefühl aufwachsen würde, unter der Beobachtung einer Gottesfigur zu stehen, die darüber befand, ob er brav oder schlimm, gut oder böse war.
    Was ich meinem Sohn alles nicht erzählen wollte, das wusste ich also ziemlich genau. Mein eigenes Gottesbild, das ich im Lauf der Zeit entwickelt hatte, ließ sich allerdings nicht so leicht in kindgerechte Worte fassen. So stammelte ich oft herum, sprach letzten Endes doch von »ihm«, und scheiterte daran, wirklich schlüssige Antworten auf Thimos Fragen zu geben.
    »Wie groß ist Gott?«
    Das wollte Thimo eines Abends vor dem Einschlafen wissen.
    Ich weiß es nicht, Thimo . Zu groß, als dass man es in Worte fassen kann. Aber was antworte ich dir jetzt?

    Ein Versuch:
    »Vielleicht ist Gott gar nicht riesengroß. Vielleicht ist er winzig klein, so klein, dass wir ihn gar nicht sehen können, und vielleicht sitzt er jetzt gerade hier … oder hier … oder gar auf deinem Knie und sieht uns ganz genau. Vielleicht besteht Gott ja aus ganz vielen Teilen, die überall auf jedem Platz der Welt sitzen und alle Menschen gleichzeitig sehen und beschützen.«
    Thimo mochte diesen Gedanken und sprach immer wieder vom kleinen Gott auf seinem Knie.
     
    Kinder sind wunderbare Lehrer. Sie stellen uns immer wieder aufs Neue Fragen, deren Antwort wir längst zu kennen glaubten. Sie bringen uns dazu, neu nachzudenken und auf Vieles genauere, ehrlichere, bessere Antworten zu finden als die, mit denen wir uns im Lauf der Zeit zufriedengegeben haben.
    Thimos wacher, suchender Geist, Finis unbändige Neugier – ich vermisse sie. Die Erinnerung an meine Kinder bringt mich dazu, wieder auf die leisen Fragen zu hören, die tief in mir selbst auf eine Antwort warten. Wenn es mir ab und zu gelingt, mir selbst eine interessante Frage zu stellen, so denke ich heute noch oft an meine Kinder. Erst wenn ich sicher bin, dass meine Antwort vor ihnen und ihren neugierigen

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