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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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herausgepresst werden. Trauer dauert länger, sie ist im Kopf von Worten begleitet wie:

    Ich vermisse dich .
    Es tut mir leid um dich .
    Verzeih mir .
    Die Trauer hadert nicht. Sie hat bereits akzeptiert. Sie kommt, wenn man aufgehört hat zu rebellieren gegen das, was nicht mehr zu ändern ist. Ich habe die Trauer und ihre sanft fließenden Tränen als gute Freundinnen erlebt, die mich oft nach der großen Anstrengung des Schmerzes in tiefen Schlaf begleiteten.

    Schmerz und Trauer, Bruder und Schwester.
    Sie haben noch einen weiteren Angehörigen: die Wut.
    Lange bevor meine Familie bei einem Unfall sterben musste, habe ich mich immer wieder mit Psychologie beschäftigt. Irgendwann las ich auch über die klassischen Trauerphasen. Über Verdrängung und aufbrechende Gefühle, Rückzug und Neuorientierung.
    Die Stimme in meinem Kopf, die sich immer wieder meldete und beharrlich das Ziel verfolgte, mich unbeschadet durch meinen Trauerprozess zu führen, konnte sich selbst jetzt noch gut erinnern an das, was ich damals vor dem Unfall gelernt hatte.
    Jetzt bist du also selbst in einem Trauerprozess. Soviel ich weiß, läuft ein solcher Prozess in vier Phasen ab, die unweigerlich aufeinanderfolgen. Vielleicht können wir herausfinden, in welcher Phase du gerade steckst.

    »Ja, dann kann ich möglicherweise voraussehen, welche Phase als nächste kommt. Vielleicht kann ich auf diese Weise sogar das große schwarze Loch abwenden. Schieß los!«
    Phase eins: Verdrängen.
    »Halt, liebe Stimme! Was redest du da? Ich verdränge doch nicht.«
    Gut, dann hast du diese Phase eben schon hinter dir.
    »Nein, das glaube ich nicht. In keiner Sekunde habe ich verdrängt, dass Heli und die Kinder tot sind.«
    Bist du sicher? ›Ich habe immer noch eine Familie, jetzt ist sie nur eben unsichtbar‹, meinst du nicht, das das ein klein wenig nach Verdrängung klingt?
    »Moment. Soll das heißen, dass alle, die an ein Leben nach dem Tod glauben, nichts anderes tun, als die grausame ›Realität‹ zu verdrängen? Eine ›Realität‹, in der nach dem Sterben nichts kommt als unendliche Leere?«
    Ich glaube nicht, dass die Trauerforscher das so meinen.
    »Na, also.«
    Ich gebe noch etwas zu bedenken. Du verdrängst sehr wohl, und zwar das Leben.
    »Da bringst du jetzt aber einiges durcheinander, liebe Stimme. Öffnung und Neuorientierung kommen erst in der letzten Phase. Ich darf im Bett liegen. Darf mich einigeln. Soviel weiß sogar ich noch.«
    Gut, wir lassen die Verdrängung beiseite. Diese Phase dauert sowieso nur ganz kurz. Vielleicht war sie in deinem Fall so kurz, dass du sie gar nicht bemerkt hast …
    »Glaubst du, dass es sich später rächen wird, falls ich eine Phase, gleich die erste, übersprungen haben sollte?«

    Ich weiß es nicht. Vielleicht. Du wirst es früher oder später merken. Lass uns doch einmal weitersehen: Phase zwei. Die aufbrechenden Gefühle. Trauer.
    »Ah, ja, die kenne ich.«
    Verzweiflung.
    »Auch.«
    Wut.
    »Was!?«
    Wut.
    »Warum wusste ich bloß, dass du mir damit kommen würdest. Wut. So ein Unsinn. Ich bin nicht wütend, wüsste gar nicht, warum ich es sein sollte.«
    Vielleicht, weil Heli unaufmerksam war und dadurch deine Familie getötet hat?
    »Heli war ein Schussel. Schon immer. Ich habe ihn geliebt, so, wie er war. Jeder von uns ist ab und zu unaufmerksam. Ich war selbst schon beim Autofahren abgelenkt. Heli hatte großes Pech. Oder es war sein Schicksal. Alles kein Grund, wütend auf ihn zu sein.«
    Bist du vielleicht auf das Schicksal wütend?
    »Ich glaube an das Schicksal. Gerade deshalb vertraue ich darauf, dass hinter allem, was geschehen ist, ein großer Plan steckt. Das Schicksal hat Heli und die Kinder in den Himmel gebracht, wo sie bestimmt glücklich sind. Und was mich angeht, so nehme ich an, dass es irgendeinen guten Grund gab, dass ich an jenem Tag nicht im Bus saß. Das Schicksal wird wohl noch Pläne mit mir haben. Es wäre viel zu früh, um wütend zu sein.«
    Ich erinnere mich an eine Zugfahrt, bei der du Heli in Gedanken angeschrien hast …

    »Ich weiß nicht, woher das kam.«
    Wirklich nicht?
    »Nein. Keine Ahnung. Die Aufstellung in meinem Kopf hast sich verselbstständigt.«
    Also gut. Wir werden ja sehen, ob die Wut noch einmal kommt.
    »Ja, aber jetzt lass mich schlafen.«
    In Ordnung. Gute Nacht.

    Am 17. April 2008, zehn Uhr
     
    Ich habe mit Clownskollegen einen Termin zur Supervision. Datum und Uhrzeit stehen schon seit Monaten fest. Ich habe mich entschieden,

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