Vier moralische Schriften
übersetzt werden.
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faschistische Partei war mit der Proklamation einer neuen revolutionären Ordnung auf den Plan getreten, aber finanziert wurde sie von den konservativsten Agrariern, die eine Konterre-volution von ihr erwarteten. In seinen Anfängen war der Faschismus republikanisch, doch er überlebte zwanzig Jahre, indem er seine Loyalität zur Königsfamilie proklamierte und einem »Dux« erlaubte. Arm in Arm mit einem »Rex« zu gehen, dem er auch noch den Titel »Imperator« anbot. Als dieser König dann schließlich, im Sommer 1943, seinen »Ersten Minister«
Mussolini entließ, trat die Partei zwei Monate später, mit deutscher Hilfe, unter dem Banner einer »sozialen« Republik wieder auf den Plan und spielte erneut ihre alte revolutionäre Partitur, bereichert um fast jakobinische Obertöne.
Es gab nur eine Nazi-Architektur und nur eine Nazi-Kunst.
Wenn Albert Speer Hitlers Architekt war, gab es in Deutschland keinen Platz für Mies van der Rohe. In gleicher Weise gab es unter Stalin, wenn Lamarck recht hatte, keinen Platz für Darwin.
Unter Mussolini dagegen gab es zwar gewiß faschistische Architekten, aber neben ihren Pseudo-Kolosseen entstanden auch neue Bauten im Geist des modernen Rationalismus nach Art von Gropius.
Es gab keinen faschistischen Shdanow, der eine strikte kultur-politische Linie vorschrieb. Es gab in Italien zwei bedeutende Kunstpreise: Der Premio Cremona wurde von einem ungebildeten und fanatischen Faschisten wie Roberto Farinacci
kontrolliert, der eine propagandistische Kunst förderte (ich erinnere mich an Bilder mit Titeln wie »Beim Anhören einer Radioansprache des Duce« oder »Vom Faschismus geschaffene Geisteshaltungen«); der Premio Bergamo wurde von dem
gebildeten und einigermaßen toleranten Faschisten Giuseppe Bottai finanziert, der sowohl die L’art-pour-1’art-Richtung schützte wie auch die vielen Arten der Avantgardekunst, die in Deutschland als »entartet« und »kryptokommunistisch« galten, da allein der Germanenkitsch zugelassen war.
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Der Nationaldichter war D’Annunzio, ein Dandy, der in
Deutschland oder Rußland vor ein Exekutionskommando
gestellt worden wäre. Zum Vate Nazionale, zum »Seher« oder Barden des Regimes ernannt worden war er wegen seines
Nationalismus und seiner kultischen Verherrlichung des Heroischen – die in Wahrheit eine starke Dosis französischer Fin-de-siècle-Dekadenz enthielt.
Oder nehmen wir den Futurismus. Man sollte meinen, er wäre als ein Beispiel für »entartete Kunst« angesehen worden, so wie der Expressionismus, der Kubismus und der Surrealismus. Aber die ersten italienischen Futuristen waren Nationalisten, sie befürworteten aus ästhetischen Gründen den Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg, sie verherrlichten die Geschwindigkeit, die Gewalt und das Risiko, und irgendwie schien das alles dem faschistischen Jugendkult nahe. Während der Faschismus sich mit dem Römischen Reich identifizierte und die ländlichen Traditionen wiederentdeckte, wurde Marinetti (der verkündete, ein Auto sei schöner als die Nike von Samothrake, und der sogar den Mondschein niedermachen wollte) zum Mitglied der
Italienischen Akademie ernannt, die den Mondschein sehr respektvoll behandelte.
Viele der künftigen Partisanen und künftigen KP-
Intellektuellen wurden von den »Gruppi Universitari Fascisti«
(GUF) erzogen, der faschistischen Studentenvereinigung, die eigentlich die Wiege der neuen faschistischen Kultur sein sollte.
Diese Debattierklubs entwickelten sich zu einer Art intellektuel-lem Schmelztiegel, in dem neue Ideen ohne jegliche
ideologische Kontrolle zirkulierten, nicht weil die Parteibosse so tolerant gewesen wären, sondern weil nur wenige von ihnen über die intellektuellen Mittel zu ihrer Kontrolle verfügten.
Während jener zwei Jahrzehnte war die Dichtung Montales und anderer Autoren, die zur Gruppe der sogenannten Hermetiker gerechnet wurden, eine Reaktion auf den pompösen Stil des Regimes, und doch war es diesen Dichtern erlaubt, ihren 30
literarischen Protest im Innern dessen zu formulieren, was als ihr Elfenbeinturm angesehen wurde. Die Grundstimmung der Hermetiker war das genaue Gegenteil des faschistischen Optimismus- und Heroismuskults. Das Regime duldete diesen offenkundigen, wenn auch gesellschaftlich nicht wahrnehmba-ren Dissens einfach deshalb, weil es einer so dunkel-
geheimnisvollen Sprache nicht genügend Beachtung schenkte.
Das soll nicht heißen, daß der italienische
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