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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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Gegner hat nun keinen Grund mehr, die Felder zu schonen, sagte Muli, der neben mir in der Stellung saß.
    Zwei Bauern tauchten auf. Jeder brachte einen Ochsen mit, den er vor einen Holzpflug spannte. So begannen sie, die kleinen Parzellen in der Mittagshitze zu bearbeiten. Meter um Meter, Furche um Furche arbeiteten sie sich voran. Ich hatte den Eindruck, ein altes Gemälde zu betrachten und nicht im einundzwanzigsten Jahrhundert zu sein.
    Schon am ersten Tag auf der Höhe brach nachmittags ein Sandsturm los. Es war eines dieser beeindruckenden Naturereignisse, die dieses Land in einem Augenblick so fremdartig werden ließen, dass ich mich wie auf einen anderen Planeten versetzt fühlte. Blitzartig wurde der Himmel blass und die Luft trüb. Ein starker Wind kam auf, der aber keine Erfrischung, sondern rauen Sand mit sich brachte. Er wirbelte den Bodenbelag auf, wie ein Bauer, der den Boden umgrub. Wenig später hatte der Sturm von allem Besitz ergriffen. Er wirbelte den Sand umher, fegte durch jede Ritze, blies mit voller Kraft den Staub durchs Tal. Das Schlimmste war, dass wir in den Stellungen ausharren mussten. Während der Sturm wütend tobte, waren wir nicht mehr in der Lage, mehr als ein paar Meter weit zu sehen. Trotzdem konnten wir uns nicht einfach verkriechen.
    Wie immer flaute der Sandsturm so schnell ab, wie er gekommen war. Es kam mir fast wie Zauberei vor, geheimnisvoll und unerklärbar, wie sich dieses Land so schnell wandeln konnte. Als der Himmel wieder klarer wurde, mussten wir eine dicke Sandschicht von allem entfernen, was nicht dick eingepackt war.
    Eine weitere Herausforderung waren unsere ungebetenen Hausgäste. Eines Morgens rannte TJ hysterisch zu mir, als ich gerade Wache hatte. Er war aufgeregt, konnte sich kaum beruhigen.
    Alter, ich hab in meinem Feldbett gelegen und geschlafen. Plötzlich hab ich irgendwas gespürt. Als ich die Augen aufgemacht hab, lief ’ne Riesenratte auf mir herum, sprudelte es aus ihm heraus.
    Er deutete mit den Händen eine Größe an, die ich kaum glauben konnte. Das Ungeziefer war ein großes Problem. Sobald wir länger als zwei Minuten in einer Stellung saßen, kamen sie aus ihren Löchern und wuselten auf der Suche nach Essbarem überall herum: Ratten, große schwarze und kleine braune Käfer und jede Menge Mäuse. Sie waren überall.
    Wir hatten einen Vorratsraum, der mehr einer Erdhöhle glich und durch ein paar Holzbretter mit Regalen ergänzt worden war. Eine dicke, grüne Plane hing wie ein schwerer Vorhang davor. Dadurch blieb der Raum tagsüber ein wenig kühl. Aber im Inneren waren die Pappkartons mit den Notrationen nur lose gestapelt. Es gab keine andere Möglichkeit. Für die Mäuse und Ratten und alle anderen Tiere stellte die Pappe kein Hindernis dar. Selbst die Plastikverpackungen fraßen sie an. In jeder Ecke fanden wir kleine Erdlöcher und Gänge, von denen die aufdringlichen Nager Zugriff auf unsere Vorräte hatten. Es war wie bei einem Angriff der Aufständischen. Sie tauchten von allen Seiten aus dem Nichts auf, schlugen zu und verschwanden wieder. Talibanmäuse nannte Muli sie.
    Am zweiten Tag befahl Mü uns, eine Bestandsaufnahme zu machen. Es stellte sich heraus, dass die meisten Notrationen Fraßspuren aufwiesen und unbrauchbar waren. Offenbar hatten unsere Vorgänger das nicht bemerkt. Mit den wenigen Mitteln, die wir hatten, versuchten wir ein paar Kisten zu improvisieren oder die Vorräte wenigstens so hoch wie möglich zu lagern.
    Überhaupt erreichte unsere Kreativität während des Aufenthalts auf der Höhe neue Qualitäten. Mit Bastelarbeiten konnten wir die Zeit gut totschlagen, und so entstanden aus Hesco-Draht und ein paar Brettern gemütliche Sessel, Tische, Regale und Sonnenliegen. Jonny zimmerte eine einfache Duschkabine. Das Highlight war die verschließbare Tür aus Draht und einer dünnen Stoffbahn davor. Wenige Minuten Intimität.
    Bereits nach zwei Tagen erreichte uns die Nachricht, dass wir länger als geplant in der Raumverantwortung bleiben sollten. Die andere Kompanie würde uns nicht fristgerecht ablösen können. Das brachte den Vorratsplan durcheinander. Nossi rationierte das Wasser.
    Wenn wir durch einen Sprengsatz oder einen Angriff in der einzigen Zufahrtsstraße abgeschnitten werden, muss das Wasser reichen, bis es wieder Nachschub gibt, erklärte er.
    Deshalb standen jedem von uns nur zwei Flaschen zum Waschen zur Verfügung. Für einen ganzen Tag waren drei Liter Wasser nicht viel. Das meiste wurde schon

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