Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
setzte ich mich neben Kruschka und legte meine Hand auf seine Schulter. Jonny tat das Gleiche. So saßen wir eine Weile schweigend da. Meine Gedanken kreisten um das eben Gehörte.
Kruschka war nicht mehr mit der Mutter seines Kindes zusammen. Sie dennoch auf so schreckliche Weise zu verlieren, war furchtbar. Dass seine Tochter ebenfalls tot war, schien unbegreiflich. Und in unserer Situation sicher eine der schlimmsten Nachrichten, die man sich vorstellen konnte. Bis zur nächsten Raumverantwortung waren es noch zwei Tage. Kruschka würde jetzt zu entscheiden haben, ob er nach Hause fliegen oder bei uns bleiben wollte.
Abends stieg ich auf das Holzdach über unseren Containern. Ich liebte die Stille unter dem Sternenhimmel. Für einen Moment saß ich da und betrachtete die dunkle Weite des Himmels. Dann nahm ich mein Handy. Während die Verbindung hergestellt wurde, behielt ich es in der Hand auf dem Schoß.
Erst als sich die vertraute Stimme meldete, nahm ich es ans Ohr und sagte das, was ich immer sagte. Mir geht es gut, ich vermisse dich, wie geht es dir? Die Worte verließen nach all den Monaten im Einsatz ganz automatisch meinen Mund.
Sie erzählte von ihrem Tag, der Arbeit, ihrer Angst vor der Führerscheinprüfung.
Ich sagte beiläufig, dass mir das letzte Gefecht immer noch schwer im Magen lag, und fing wieder an, in Einzelheiten davon zu berichten.
Ich will das nicht mehr hören, schoss es ihr bestimmend aus dem Mund. Und dann mit etwas weniger Schärfe. Bitte erzähl mir nichts mehr davon.
Ich war geschockt. Vielleicht noch geschockter, als ich es nach dem Gefecht in jener Nacht gewesen war. Zweifel und Unbehagen schlichen sich in meinen Kopf.
Was hat das zu bedeuten?, fragte ich.
Es reicht doch, dass ich nur hoffen kann, dass du irgendwann wiederkommst. Ihre Stimme schien zu zittern und war doch klar und deutlich. Aber mir das alles auch noch ständig anhören zu müssen …
Ich tus doch nur, weil ich es loswerden möchte und weil ich ehrlich zu dir sein will, unterbrach ich sie trotzig.
Dann wurde meine Stimme lauter. Weißt du, was einige hier ihrer Freundin erzählt haben? Dass sie in der Poststelle arbeiten und nichts passieren könne.
Das weiß ich doch, fing sie wieder an, diesmal ohne Zittern in der Stimme. Aber ich kann das im Moment nicht ertragen, erzähl mir, wie’s dir geht, aber lass die Details bitte weg.
Nach einer Pause, in der ich nachdachte und doch zu keinem Ergebnis kam, schien sie das Thema wechseln zu wollen.
Ich liebe dich. Das weißt du. Und ich versuche, dich zu unterstützen. Aber bitte versteh mich auch.
Nach einer weiteren Pause wollte sie das Gespräch beenden.
So, ich muss jetzt Schluss machen, ich treff mich nachher noch mit ein paar Leuten.
Was für Leute?, wollte ich wissen.
Ein paar neue Freunde aus dem Nachbardorf. Hab ich zufällig kennengelernt. Du würdest sie mögen. Ich hab einfach keine Lust, den ganzen Abend hier herumzusitzen und allein zu sein.
Ich wollte etwas sagen, aber meine Stimme versagte.
Ein paar neue Freunde, wiederholte ich im Kopf. Das Gespräch war beendet und ich schlecht gelaunt.
Während ich auf dem Dach saß, dachte ich darüber nach, wie eifersüchtig es mich machte, dass sie sich mit anderen Menschen traf. Ich hatte ein Problem damit, diese Menschen nicht zu kennen. Es waren vollkommen Fremde für mich. Sie lebte ihr Leben einfach weiter, ohne mich. Sie schien gar kein Problem damit zu haben, dass ich nicht da war. Dass ich in diesem gefährlichen Einsatz war. Ich war wütend. Und das Schlimmste war, ich konnte nichts ändern. Ich konnte nicht mit ihr reden und ihr dabei in die Augen sehen. Ich konnte sie nicht in den Arm nehmen. Ich konnte mich nicht in den Arm nehmen lassen. Ich hatte keinen Einfluss darauf, was fünftausend Kilometer entfernt passierte. Ich schlug mit der Faust auf ein Holzbrett. Verdammt.
Kurz vor dem Kompanieantreten, mit dem zwei Tage später die nächste Raumverantwortung eingeläutet wurde, hatte Kruschka entschieden, nach Hause zu fliegen. Wir waren alle sehr bedrückt. Aber niemand von uns machte ihm einen Vorwurf. Wir bestärkten ihn darin, mit unserer Unterstützung und unseren Gedanken nach Hause zurückzukehren. Schließlich schrieben wir ihm einen Brief, der die Unterschriften von allen trug und ihn durch diese schwere Zeit begleiten sollte. Sein Fortgehen riss eine Lücke in unsere Gruppe. Wir mussten erst einmal damit leben. Beim Antreten wurde er offiziell verabschiedet.
Der Chef stand
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