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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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fünfundvierzig Grad im Schatten und inmitten dieser sandigen Einöde ein eiskaltes Stück Wassermelone zu genießen. Diesen Moment zelebrierten wir richtig, es war ein kleines gelb-schrumpeliges Schlaraffenland.
    Joe, Joe!
    Wizos Stimme ließ mich vom Feldbett hochschrecken, wo ich vor mich hin döste. Gab es Alarm? Hatte ich nur geträumt?
    Digger, komm ma mit. Wizo war im Eingang erschienen und verschwand schon wieder.
    Ich öffnete schläfrig die Augen und blinzelte ein paar Mal. Er hatte mich kurz zuvor abgelöst und ich mich gerade erst hingelegt. Träge raffte ich mich auf und schlüpfte in die Stiefel. Die Schnürsenkel machte ich inzwischen nur noch zu, wenn ich den Hügel heruntergehen wollte. Schläfrig schlurfte ich zu Wizo, den ich in einer Stellung auf der anderen Seite des Hügels fand. Er schien irgendetwas mit dem Fernglas zu beobachten.
    Was ’n los, fragte ich und gähnte.
    Sieh dir das mal an.
    Er gab mir das Fernglas und deutete in die Richtung, in die ich schauen sollte.
    Schlagartig war ich hellwach. Ich beobachtete scharf durch das Fernglas. Ich konnte ein Gehöft erkennen, das nicht sehr weit entfernt lag. Einige Menschen arbeiteten direkt daneben auf den Feldern. Vor der Eingangstür stand ein Mann und gestikulierte wild mit den Armen. Er war sehr zornig, fuchtelte herum und schien zu brüllen. Zu seinen Füßen lag ein Kind auf dem Boden. Erst als es den Kopf hob, erkannte ich, dass es ein kleines Mädchen war, vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Es weinte bitterlich und hob die Hand. Der Mann trat mit seinen Sandalen zu und traf den Arm, den das Kind schützend über sich hielt. Er schien noch wütender zu werden, während das Kind langsam von ihm weg zu kriechen versuchte. Es hatte schon einige Meter hinter sich gebracht, als der Mann ein paar kleine Steine nahm und nach dem Kind warf. Er traf nicht. Dann aber hob er einen faustgroßen Stein auf und schleuderte ihn mit Wucht nach dem Mädchen. Er schlug in einer Staubwolke neben der Kleinen auf den Boden. Der Mann rannte hin und her, tobte und schrie. Wieder und wieder trat er nach dem Kind.
    Ich hatte inzwischen nach meinem Gewehr gegriffen. Aber was sollte ich tun? Ich konnte ihn doch nicht einfach erschießen. Aber das Mädchen!
    Ich blickte durch mein Zielfernrohr. Das Mädchen schien am Kopf zu bluten. Ich musste nachdenken. Sekunden für eine Entscheidung.
    Als der Mann den nächsten Stein aufhob, hatte ich meinen Zeigefinger auf den Abzug gelegt. Langsam presste ich die Waffe in meine Schulter, atmete ruhig. Mit den Ellenbogen stützte ich mich auf den harten Boden und schloss das linke Auge.
    Der Mann hob den Arm. Ich atmete vorsichtig ein und aus. Ohne zu ihm zu schauen, sprach ich Wizo an.
    Wie schätzt du die Entfernung, sagte ich langsam.
    Der Mann war noch einen Schritt auf das Mädchen zu gegangen und stand nun direkt über ihm. Keiner der Menschen, die auf den Feldern standen, schien helfen zu wollen. Sie schauten nicht einmal hin.
    Der Mann holte mit einem Stein aus, der noch größer war als der erste. Grimmig bäumte er sich auf.
    Sein Oberkörper befand sich genau in der Mitte des Fadenkreuzes von meinem Zielfernrohr.
    Das Blinzeln meines Auges donnerte regelrecht durch meinen Kopf. Ich hielt die Waffe ruhig und fest und atmete aus.
    Die Sonne stand hoch über uns, schien die Szene mit heißem Atem zu betrachten.
    Mein Zeigefinger drückte behutsam gegen den Abzug. Dieser bewegte sich langsam und blieb nach wenigen Millimetern stehen. Dies war der letzte Widerstand, bevor der Schuss brechen konnte. Ein Schweißtropfen lief langsam meine Schläfe herunter und kitzelte mich.
    Die Sekunden tropften dahin, während der Mann das Kind noch einmal anbrüllte.
    Seine verzerrte Fratze verursachte Wut in mir. Sein Arm verharrte in der Luft, bereit, den gewaltigen Stein zu schleudern. Das kleine Mädchen blickte sich angsterfüllt in alle Richtungen um. Fast schien es mir, als würde das Kind hilfesuchend in meine Richtung sehen, als würde es mich für eine Sekunde anblicken.
    Dreihundertvierzig Meter, sagte Wizo mit ruhiger Stimme. Ey, Digger, willst du den einfach erschießen?, fragte er.
    Ich hielt kurz inne.
    Immer weiter beugte sich der Mann über den zerbrechlichen kleinen Körper, bereit einen schrecklichen Schlag auszuführen. Seine Waden spannten sich, während dem Mädchen zu seinen Füßen die Tränen über die Wangen liefen.
    Plötzlich jagte mir ein Schauer über den Rücken, ließ mich kurz erzittern. In dieser

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