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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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kleinen Ewigkeit schien ich die Angst des Mädchens zu spüren. Nahm die Kleine so unmittelbar wahr, als würde sie in meinen Armen liegen. Ihren zierlichen Körper mit den feinen Gesichtszügen, das abgenutzte Gewand, die staubigen Füße. Dieses Viertel einer Sekunde brachte mich innerlich zum Beben. Nach einem Wimpernschlag war ich wieder da. Mit scharfem Auge betrachtete ich die Szene durch mein Zielfernrohr.
    Eine Idee.
    Ich bewegte das Fadenkreuz vom Körper des Mannes weg und zielte auf die Hauswand, direkt neben ihm. Mein Finger hielt immer noch den Abzug fest. Plötzlich berührte mich etwas. Jemand legte die Hand auf meine linke Schulter. Drückte nicht fest zu, sondern schien mich sanft führen zu wollen.
    Mit einem Reflex ließ ich den Abzug los.
    Als ich den Kopf zur Seite drehte, erkannte ich Muli, der neben mir stand und mich ruhig ansah. Fast unmerklich schüttelte er den Kopf.
    Für eine Sekunde sah ich ihn verständnislos an.
    Als ich wieder durchs Zielfernrohr blickte, waren der Mann und das Mädchen verschwunden.
    Muli setzte sich neben mich, sprach ganz gelassen und mit ruhiger Stimme.
    Weißt du, wenn du auf jemanden schießt und es stellt sich aus irgendeinem Grund heraus, dass es doch kein Feind war, wirst du immer sagen, ich hätte den Befehl dazu gegeben. Wir sind hier in einem Kriegsgebiet. Und sollte irgendein Sesselfurzer meinen, uns dafür drankriegen zu wollen, regel ich das schon. Aber bedenke eines: Ich bringe dir so großes Vertrauen entgegen, weil ich weiß, dass du deinen Verstand benutzt. Deshalb wollte ich dich in der Gruppe haben. Wenn wir uns in die persönlichen Angelegenheiten dieser Menschen einmischen, geraten wir noch mehr zwischen die Fronten. Und lösen vielleicht eine Lawine aus, die wir nicht stoppen können. Bringen möglicherweise unsere ganze Arbeit in Gefahr. Selbst wenn wir danebenzielen, sagte er und lächelte mich an, als hätte er eben durch mein Zielfernrohr blicken können.
    Nossi und Russo standen gebückt hinter den Dixie-Plastikhäuschen und waren mit irgendetwas beschäftigt. Als sie mich bemerkten, riefen sie mich herbei.
    Guck dir das mal an, sagten sie. Das ham wir gerade hinter den Klos im Boden gefunden.
    Als ich an die beiden herantrat, erblickte ich einen menschlichen Schädel und ein paar große Knochen.
    Ein Knochen hat ein bisschen aus der Erde geschaut, da hab ich gegraben, berichtete Russo.
    Ich wunderte mich nicht über diesen Anblick, sollen doch auch schon die russischen Soldaten hier ihre Stellungen gehabt haben. Und die waren mit den Aufständischen, aber auch mit der Bevölkerung nicht zimperlich umgegangen. Vielleicht war es aber auch ein russischer Soldat gewesen, der in der Hitze nicht rechtzeitig weggebracht werden konnte. Wir würden es wahrscheinlich nie erfahren. Später veranstalteten wir eine kleine Zeremonie und bestatteten die Knochen auf dem Hügel hinter den Toiletten.
    Es war vielleicht vier Uhr morgens, und Simbo und ich hockten auf dem Dach der Schlafräume in einer flachen Sandsackstellung.
    Ich hab elf Tage lang nicht geduscht, brummte ich.
    Was, so lange sind wir schon auf diesem verfickten Hügel?, entgegnete er erstaunt. Es ist doch total lächerlich, dass die dafür keine Afghanen nehmen. Wir sind verdammte Fallschirmjäger, wir müssen die scheiß Aufständischen bekämpfen, sagte er trotzig.
    Ich wollte ihm zustimmen, hielt dann aber für einen Moment inne. Ich war nach den aufregenden Ereignissen der letzten Zeit froh, dass es für uns endlich mal etwas ruhiger wurde. Der Dienst hier oben war beschissen, aber wir waren hier relativ sicher. Ich erschauderte, als ich an das schwere Gefecht in der Nacht dachte, als wir in den Hinterhalt geraten waren. Es hatte mir anschließend so schwer im Magen gelegen. Aber Simbo hatte recht. Wir waren gut ausgebildet. Es war Verschwendung, uns hier oben versauern zu lassen. Es wäre sinnvoller gewesen, diese Hügel von anderen Kräften bewachen zu lassen.
    Hatte ich mich etwa schon so sehr an den Krieg gewöhnt, dass ich mir wünschte, diesen Adrenalinkick zu erleben, diesen Rausch des Kampfes? Wollte ich wieder dorthin, wo wir fast umgekommen waren? Vielleicht auch nur, um denen in den Arsch zu treten, die uns das angetan hatten? In diesem Moment wurde ich zornig. Ich war sehr wütend auf diese Leute.
    Wir müssen denen zeigen, wer der Stärkere ist, presste ich hervor.
    Bei meinem ersten Fallschirmsprung hatte ich meinen Ausbilder so lange bedrängt, bis ich als Erster

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