Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Brandy, wir wechseln die Position. Feind direkt voraus.
Ein Knall.
Hier Chef, Schützenpanzer auf der linken Seite vorrücken.
Brummen.
Hier Shorty, habe Feind im Visier.
Plötzlich stieg von irgendwoher Rauch auf. Ich saß schon längst nicht mehr auf meinem Stuhl, lief unruhig auf dem Turm hin und her. Das Funkgerät stand jetzt nicht mehr still.
Hier Brandy, sie ziehen sich langsam zurück, verteidigen aber jedes Haus verbissen.
Hier Chef, wir setzen nach!
Einzelne Schüsse.
Dann wieder eine Salve aus dem Maschinengewehr.
Ich konnte nicht heraushören, wer gerade geschossen hatte. Auf die Entfernung war das helle Tackern der Kalaschnikows nicht vom dumpfen Klang unserer Gewehre zu unterscheiden.
Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Was war dort los? Wie ging es den Jungs?
Hier Nossi, wir haben ein Gebäude gestürmt, drinnen nur Zivilisten, keine Waffen. Wir mussten das Tor eintreten.
Die Schützenpanzer rumorten, immer wieder peitschten Gewehrsalven durch die Morgenluft.
Hier Chef, ich habe keine freie Sicht, die Mauer da vorne ist im Weg.
Hier Shorty, kein Problem. Ich regele das.
Dann hörte ich wieder lautes Brummen und Rumoren. Ein Schützenpanzer schien mit Vollgas in Bewegung zu sein. Nach kurzer Zeit Stille.
Hier Shorty, Problem gelöst, die Mauer ist weg.
Ausgezeichnet!, rief der Chef triumphierend ins Funkgerät.
Hier Brandy, wir treiben sie vor uns her.
Hier Chef, ausgezeichnet. Nach meiner Einschätzung sind es nur noch einhundertfünfzig Meter bis zur nächsten Freifläche. Dahinter beginnt das nächste Dorf. Alle nach Möglichkeit weiter vorrücken.
Ich traute meinen Ohren kaum. Offenbar hatten sie den Gegner vollkommen überrascht. Noch vor einigen Wochen konnten wir nicht einmal die Hauptstraße sicher befahren, waren sogar nachts überfallen worden. Und jetzt trafen wir diese Dreckskerle mitten ins Rückenmark.
WAAAM!
Eine Explosion. Sie war riesig. Durchbrach den Gefechtslärm und übertönte alles andere. Eine gewaltige Rauchsäule erschien über den Bäumen, über dem Dorf in der Ferne. Endlose Sekunden, in denen das Funkgerät still blieb. Was war geschehen? Ich wippte von einem Fuß auf den anderen, war völlig aufgelöst und kaute an den Fingernägeln. Gab es Verletzte? Waren die Jungs noch am Leben? Die Zeit verstrich. Wie paralysiert hielt ich den Hörer des Funkgeräts dicht an mein Ohr.
Nichts.
Stille.
Plötzlich ein Knacken.
Endlich! Ich zählte förmlich die Sekunden, bis ich wieder eine Stimme hörte.
Hier Brandy!
Seine Worte dröhnten schmerzhaft in meinen Ohren, denn ich hatte das Funkgerät so laut wie möglich gestellt. Hastig riss ich es vom Ohr weg. Dann hörte ich wieder Brandys atemlose Stimme.
Etwa hundertfünfzig Meter vor uns wollten die eine Bombe scharf machen. Mitten auf der Kreuzung. Es dauerte nur eine Sekunde, dann flog der Typ mitsamt der Bombe selbst in die Luft. Der Rest von ihm liegt immer noch da!
Ich war fassungslos. Der Afghane hatte sich beim Scharfmachen der Bombe selbst in die Luft gesprengt. Niemand von uns war getroffen worden.
Ein neuer Funkspruch: Hier Brandy, die versuchen, den Toten zu bergen.
Ich hörte die Schüsse der Gewehre, offenbar hatten die Jungs von Golf zwei die Feinde ins Visier genommen, die versuchten, den Toten da wegzuholen. Das Knallen und Rattern wurde immer schlimmer, das Gefecht schien seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Zwischen dem Lärm und Rauch konnte ich eine Stimme vernehmen.
Hier Shorty, ich werde von einem Gebäude beschossen, in das die den Toten schleifen wollen. Die Kanone von meinem Schützenpanzer zeigt keine Wirkung in dem Lehm. Ich schieße MILAN.
Es rummste gewaltig.
Jubel im Funkgerät. Der Panzerabwehrflugkörper MILAN des Schützenpanzers hatte sein Ziel nicht verfehlt.
Hier Brandy, vor uns sind Kinder auf der Straße, ich wiederhole: Kinder auf der Straße.
Hier Chef, verstanden.
Hier Shorty, ich sehe sie auch, mehrere feindliche Schützen haben die aus den Häusern gezerrt. Die benutzen die Kinder als Schutzschild!
Mir stockte der Atem. Das war das Niederträchtigste, was man sich vorstellen konnte, diese unschuldigen Wesen als Schutzschild zu missbrauchen. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, es war so abartig.
Hier Chef, sofort das Feuer einstellen!
Er hatte es deutlich lauter als sonst ins Funkgerät gerufen. Nur noch vereinzelte Schüsse durchbrachen die Stille.
Es dauerte noch zwei Stunden, bis alle wieder im Polizeihauptquartier zurück waren.
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