Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Durchgeschwitzt, abgekämpft, müde. Während Brandys Gruppe kaum still sitzen konnte und den gleichen Rausch nach dem Gefecht erlebte, den ich auch schon von uns kannte, blickte der Chef ernst drein und verschwand hinter einer Tür. Kurz nachdem er das Einstellen des Feuers befohlen hatte, um die Kinder nicht zu gefährden, hatte sich unser Bataillonskommandeur im Feldlager überraschend in den Funkverkehr eingeschaltet. Erst jetzt stellte sich heraus, dass nicht nur wir und der Gegner, sondern auch unsere Führung im Feldlager von dem schnellen Vormarsch vollkommen überrascht worden waren. Aber aufgrund der unklaren Lage hatte unser Kommandeur befohlen, nicht weiter vorzurücken.
Wir hatten eine große Chance. Die haben wir vertan. Das nächste Mal wird man uns nicht so einfach vorrücken lassen, kommentierte Muli die Ereignisse.
Beim Gedanken an das nächste Mal erschauderte ich.
Am Tag darauf kam der Sanitäter zu mir, der meinen Ellenbogen behandelt hatte. Ich saß auf meinem Feldbett.
Kannst du mal mitkommen?, fragte er mit ernstem Tonfall.
Was ’n los?, wollte ich wissen.
Wir ham da einen kleinen afghanischen Jungen, der von einer Kettensäge verletzt wurde. Es ist grad kein Sprachmittler da. Kannst du mit dem sprechen?
Ich hatte keine Ahnung, woher er wusste, dass ich mit den Übersetzern zusammen trainierte, aber ich kam gerne mit, um mein Bestes zu versuchen.
Der kleine Junge saß auf einem Stuhl im Innenhof und weinte bitterlich. Er schien große Angst zu haben, obwohl ein alter Mann seine Hand hielt.
Das ist wohl sein Großvater, sagte der Sanitäter.
Ich begrüßte den alten Mann mit einem höflichen Salam, als ich näher kam. Dann wandte ich mich an den Jungen.
Keine Angst, brachte ich hervor. Ich war sehr nervös, schließlich konnte ich diese Sprache nicht gut. Aber ich lächelte den kleinen Jungen an. Dieser machte große Augen.
Wir sind Freunde, erklärte ich ihm. Wir wollen dir helfen.
Hardy saß im Innenhof und spielte Schach.
Hardy, kannst du mir mal bitte eins von den Trikots und ’nen Fußball holen?, bat ich ihn.
Der kleine Junge wurde von unserem Arzt behandelt und hatte nach kurzer Zeit einen dicken Verband um die Hand.
Ich erklärte dem alten Mann mit Mühe, dass er den Jungen in ein paar Tagen wieder zu uns bringen könne, um die Wunde reinigen und neu verbinden zu lassen. Als ich dem kleinen Kerl schließlich das Trikot und einen Fußball schenkte, strahlte er über beide Ohren. Der alte Mann verabschiedete sich sehr höflich und führte den kleinen Jungen hinaus.
In diesem Moment kam Shukoor mit Mü von einer Fahrzeugpatrouille zurück. Als er auf mich zukam, erzählte ich ihm stolz, dass sich das Training mit ihm auszahlte.
Ich habe den alten Mann erkannt, sagte er. Es ist der Älteste eines nahe gelegenen Dorfes.
Na, dann bin ich ja trotz meiner Zwangspause nicht völlig unnütz, sagte ich lachend zu ihm.
Die Aufregungen nahmen nicht ab. Während ich immer noch meinen Ellenbogen auskurierte, wurde Mü mit seinem Dingo auf dem Weg zur Westplatte angesprengt. Es passierte zwei Tage nach dem Gefecht in Qara Yatim. Der Gegner wollte uns zeigen, dass nichts, was wir taten, ohne Konsequenzen blieb. Die Hinterachse war beschädigt, aber das Fahrzeug noch fahrtüchtig. Nur Mü wirkte sichtlich mitgenommen.
Brandys Gruppe war in allgemeiner Hochstimmung. Sie waren die einzigen, die bisher von Sprengstoffanschlägen verschont geblieben waren, und hatten das schwere Gefecht in Qara Yatim bestanden und dem Gegner empfindliche Verluste zugefügt.
Trotzdem zeigte sich deutlich, dass auch die anderen Wege suchten, sich vom Kriegsalltag abzulenken. Inzwischen hatte sich in der Kompanie eine größer werdende Gruppe gefunden, die mit Begeisterung Poker spielte. Dabei wurde um Geldbeträge gespielt, die mit Fortlaufen des Einsatzes bedenklich höher wurden. Eine andere Gruppe hatte sich in Deutschland Gameboys bestellt. Was die meisten höchstens noch aus ihrer Kindheit kannten und von den älteren Kameraden belächelt wurde, erfreute sich draußen in Afghanistan zunehmender Beliebtheit.
Ich dagegen zog mich immer weiter von den Übrigen zurück, wollte während der freien Zeit einfach meine Ruhe haben. Also saß ich abends bei den Übersetzern oder bei den Amerikanern. Ich hatte dort gute neue Freunde gefunden. Sie sollten mein Team keinesfalls ersetzen. Ich brauchte aber diese Auszeiten.
Am Abend vor unserer Rückkehr ins Feldlager bereiteten mir die Amerikaner eine
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