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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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dass die Aufständischen tschetschenische Ausbilder dabeihaben, die jetzt irgendwo hier im Dorf mit ihren Gewehren auf der Lauer liegen. Vielleicht ist auch vor unserer Stellung so ein Scharfschütze, weil hier irgendjemand immer mit gezielten, einzelnen Schüssen auf uns schießt.
    Scheiße, sagte ich knapp.
    Kurz darauf wurde erneut Artilleriefeuer angefordert. Diesmal sollten die feindlichen Stellungen beim Foxtrott Zug mit scharfen Sprenggranaten beschossen werden.
    Foxtrott ist echt beschäftigt, rief TJ anerkennend.
    Diesmal krachten die Artilleriegranaten mit ungeheurem Lärm in die feindlichen Stellungen. Muli befand sich am Funkgerät, als sich sein Gesicht erhellte.
    Die haben wieder was vom feindlichen Funk mitbekommen, rief er erfreut. Nach dem letzten Schuss der Panzerhaubitze ham die nur gehört, wie einer von denen ins Funkgerät gebrüllt hat: Überall sind Verletzte! Wir gehn hier alle drauf!
    Der anschließende Jubel in der Gruppe war unbeschreiblich. Ich spürte eine innerliche Befreiung, die sich kaum in Worte fassen ließ. Erst viel später wurde mir bewusst, dass diese Meldung den Tod von vielen Menschen bedeutete. Aber war das nicht gerecht? Schließlich wollten sie uns töten. Wir hingegen waren nicht mit dieser Absicht hergekommen. Ich fühlte keine Reue, keine Trauer.
    Nun versuchten wir, den einzelnen Schützen auszuspähen, der uns immer wieder gezielt aufs Korn nahm. Wir legten einen unserer Helme auf ein Gewehr und schoben das über die Mauer. Nichts geschah. Aber als Mica oder Muli wiederum selbst über die Mauer blickten, pfiff es sofort an ihren Köpfen vorbei. Mir wurde es langsam unheimlich.
    Der muss nahe dran sein, sich irgendwo angeschlichen haben, bemerkte ich nervös.
    Mittlerweile hatte die Mittagshitze ihren Höhepunkt erreicht. Ich schwitzte wie verrückt. Die Zunge klebte mir am Gaumen, und das Wasser ging langsam zur Neige.
    Eine neue Meldung über Funk ließ mich noch unruhiger werden.
    Der Feind bringt Mörser in Stellung, verkündete Muli. Die Meldung stammte wieder aus einem abgehörten Funkspruch.
    Scheiße, Mörser!, rief ich erschreckt. Muli, wir haben hier absolut keine Deckung gegen Beschuss von oben!
    Ich weiß, aber wir müssen die Stellung halten, sonst können die hier von Norden her einbrechen, gab er zu bedenken.
    Aber auch Muli schien die Sache nicht geheuer zu sein. Noch war nichts passiert. Immer wieder flammte Gewehrfeuer auf, aber eine stärkere Explosion war nicht zu hören. Es war eine regelrechte Pattsituation. Der Einsatz von Artillerie oder Mörsern konnte jederzeit einen Ausschlag in die eine oder andere Richtung geben.
    Ich brauch noch mal Deckungsfeuer!, rief Muli auf einmal, und wir schoben unsere Waffen über die Mauer.
    Während die Gewehre meiner Kameraden lautstark Feuer spuckten, vernahm ich nur ein klägliches Klicken. Meine Waffe hatte schon wieder einen Defekt. Ärgerlich zog ich sie nach unten und begann, sie zu zerlegen.
    Währenddessen hatte Muli über die abgewinkelte Mauer auf der rechten Seite geschaut. Er stürzte zurück und sackte auf den Boden.
    Scheiße!, brüllte er aufgeregt. Die ham sich verdammt nah angeschlichen. Hinter der Mauer ist ’n scheiß Baumwollfeld. Da liegen welche von den Dreckskerlen drin. Sind nur ein paar Meter …
    Seine Stimme überschlug sich.
    Ich brauch ’ne Handgranate!, brüllte Muli völlig aufgelöst. Schnell!
    Ich zog meine Handgranate aus der Tasche und warf sie ihm zu. Dann betrachtete ich die Mauer. Das Feld dahinter musste sehr breit sein.
    TJ, ich brauch ’ne Granate, mach schon!, rief ich hastig, als ich mich in seine Richtung drehte.
    Als er sie mir hinhielt, robbte ich zu Muli. Die paar Meter waren schnell geschafft, und keuchend hockte ich vielleicht drei Meter von ihm entfernt an der Mauer. Ich zog den Sicherungssplint heraus und warf. Meine Handgranate flog in hohem Bogen über die Mauer. Instinktiv zog ich den Kopf ein. Aber was war bei Muli los? Er schleuderte etwas über die Mauer, und etwas anderes fiel zu seinen Füßen auf den Boden. Im selben Moment schmiss er sich mit dem ganzen Körper darauf und blieb liegen. Was war da los? Hatte er die Handgranate fallen lassen? Es dauerte nur ein paar Sekunden, und ich hörte einen dumpfen Knall. Erde flog über die Mauer und prasselte mir auf den Kopf. Ich blickte immer noch Muli an, hatte noch immer nicht begriffen, was eigentlich vor sich ging. Ich war vor Spannung gelähmt, konnte nicht atmen. Er sah mir in die Augen. Was war das?

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