Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Holzbalken in meiner Stellung. Ein gemütliches Haus, meine Geschwister, die mich an die Hand nahmen, ich mit einem wuchernden, riesigen Schnurrbart und ein kleiner orangefarbener Drache, der im Wind flatterte.
Das Funkgerät blieb am Vormittag still. Es war enttäuschend, dass Mü sich nicht nach unserem Befinden erkundigte. Von Golf zwei kamen später Stimmen, die uns zu verstehen gaben, wie unwohl sie sich bei dem Gedanken gefühlt hätten, uns dort im Gefecht zu wissen und gleichzeitig zum Abwarten auf der Höhe verdammt zu sein. Als sich Muli lautstark bei Mü über dessen offenkundiges Desinteresse beschwerte, lautete der einzige Kommentar des Zugführers: Ich hab doch den Funkverkehr mitgehört. Da brauchte ich doch nicht nachzufragen …
In den letzten Tagen, die wir noch auf der Höhe verbrachten, zeigte sich immer deutlicher, dass uns die Erlebnisse veränderten. Während uns Muli früher noch verboten hatte, tagsüber auf den Dächern der Stellungen herumzulaufen, weil wir Beschuss niemals ausschließen konnten, bewegten wir uns dort nun völlig offen. Manche lagen einfach nur herum und sonnten sich, andere übten den Nahkampf und benutzten die Sandsäcke wie eine Turnmatte. Auch ich genoss die ruhigen Tage hier oben. Standen sie doch im absoluten Kontrast zu den heftigen Kämpfen oder den Regeln im Feldlager. Wieder einmal hatte sich mein Blick verschoben.
Trotzdem feierten wir die Rückkehr ins Feldlager überschwänglich. Es gab wieder ein großes Grillfest, und obwohl ich mich freute, dass die Kompanie in Khalalzay wieder enger zusammengerückt war, zog ich es vor, mich früh in den Container zurückzuziehen.
Inzwischen war es Ende Oktober und die Tage wurden ganz langsam und fast unmerklich kühler. Immer noch brannte die Sonne unerbittlich, doch der feine Unterschied ließ uns bereits aufatmen.
Zehn Tage Feldlager. Eine so ausgiebige Pause hatten wir schon ewig nicht mehr erlebt. Natürlich mussten nach wie vor wichtige hohe Offiziere eskortiert, die Kampfmittelbeseitiger unterstützt oder entlegene Dörfer besucht werden. Aber es war trotzdem wie ein kleiner Urlaub.
Doch es dauerte nicht lange, da erhielten wir Kenntnis von den nächsten Plänen. Eine große Operation sollte stattfinden.
Wir werden wieder mit den Amerikanern und den Afghanen zusammenarbeiten, erklärte Muli. Außerdem sind Belgier dabei. Es geht nach Quatliam. Dieses Dorf, wo wir Bekanntschaft mit dem Alten und seiner Kuh gemacht haben. Und wo ich mein Fernglas verloren hatte. Wir werden wieder als Erste reingehen, verkündete er noch mit Stolz in der Stimme.
Bei dem Gedanken schauderte es mich. Quatliam, das Nachbardorf von Isa Khel. Das letzte Mal wurden wir schon vor dem Ortseingang angegriffen. Es würde wie ein Stich in ein Wespennest sein.
Die Vorbereitungsphase brachte für mich keine Entspannung mehr. Je näher der geplante Beginn der Operation rückte, umso mehr wuchsen meine Zweifel. Zwar gab ich mich äußerlich gelassen. Innerlich jedoch war ich zwischen der Verpflichtung meinem Team gegenüber und dem unguten Gefühl in meinem Bauch hin- und hergerissen.
Wir verbrachten die letzten Tage des Oktobers mit der Auswertung unserer Videos aus Khalalzay, dem Zusammenstellen der Ausrüstung und dem Reinigen der Waffen. Ich war mit meinem Gewehr in der Waffeninstandsetzung und hoffte auf eine Lösung des Problems mit dem Verschluss. Nach einem Tag Reparatur holte ich es wieder ab. Außerdem hatte ich mir von den Mechanikern ein Zielfernrohr ausgeliehen, das eigentlich zu einem Scharfschützengewehr gehörte, aber derzeit nicht gebraucht wurde. Ich versprach, gut darauf aufzupassen, und erhoffte mir von der starken Vergrößerung einen Vorteil. Zufällig ergab sich die Möglichkeit, mit ein paar Soldaten des Kommando Spezialkräfte auf die Schießbahn zu fahren, um das Gewehr mit dem neuen Zielfernrohr einzuschießen. Die beiden Komponenten mussten aufeinander eingestellt werden. Bei einer angeregten Unterhaltung erklärte einer der Kommandosoldaten, warum die Ausbildung der afghanischen Polizisten so schwierig war:
Das Problem ist, dass sie keine Schulbildung haben. Während wir schon als Kinder gelernt haben, über Stunden aufmerksam zu sein, schaffen die Afghanen das nicht. Sie sind zwar motiviert, aber nach zehn Minuten hören sie nicht mehr zu. Das Ganze hier wird noch Jahrzehnte dauern …
Ich dachte an die Vielzahl von Problemen, die sich daraus ergaben. Der mangelhafte Ausbildungsstand zusammen mit der
Weitere Kostenlose Bücher