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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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Nachschub an der hinteren Mauer ab. Dort, wo die Schonung begann.
    Inzwischen hatte Muli mit dem Hotel Zug einen Plan ausgeheckt, um den einzelnen Schützen zu erwischen, den wir irgendwo in einer Senke vor uns vermuteten. Der Hotel Zug brachte die Granatmaschinenwaffe weiter hinten so in Stellung, dass sie mit den schweren Granaten am Dorf vorbei vor unsere Stellung schießen konnten. Über Funk korrigierten wir ihre Schüsse und nahmen so nach und nach alle Stellungen, wo wir den Schützen vermuteten, unter Feuer. Die Zusammenarbeit mit dem Hotel Zug funktionierte wunderbar. Offenbar war manchmal erst eine kritische Situation nötig, um wieder zueinanderzufinden.
    Nach weiteren Kämpfen und heftigem Beschuss ging dieser schreckliche Tag endlich zu Ende, und wir machten uns auf den Rückweg ins Polizeihauptquartier. Doch ich fühlte mich seltsam, und dieses Gefühl ließ mich nicht mehr los.
    Als wir zurückmarschierten und über die Leiter kletterten, um die Schonung zu verlassen, während wir eine freie Fläche mit einer Nebelgranate verdecken wollten und die Ernte eines Bauern in Brand geriet, während Simbo und Hardy einen Befehl von Muli nicht befolgten, weil sie keine Kraft mehr hatten, und kurz vor dem Polizeihauptquartier ein Auto auf uns zuraste, in dem offenbar bewaffnete Männer saßen, geriet ich mit mir in einen tiefen Zwiespalt.
    Das Feuer breitete sich aus und vernichtete die Ernte. Aber der Bauer bekam fünftausend Dollar Schadensersatz. Das Auto näherte sich, und wir hätten fast geschossen, aber der Fahrer drehte im letzten Moment um. Heute hatte es jemanden von uns erwischt, der in wenigen Tagen sowieso nach Hause geflogen wäre. Der freiwillig länger geblieben war und dafür fast mit seinem Leben bezahlt hätte.
    Wie merkwürdig die Dinge manchmal waren. Wie wenig wir bestimmte Ereignisse beeinflussen konnten. Und trotzdem waren wir für all das, was geschah, verantwortlich.
    Am Abend hielt uns das Adrenalin noch lange wach. Dieser unglaublich starke Kick, das absolut geile, positive Gefühl, das der Kampf in uns ausgelöst hatte, hielt viel länger an als sonst. Niemand kam zur Ruhe, alle berauschten sich an den Erlebnissen des Tages, saßen oder standen herum und grinsten, lachten, grölten. Eine so extreme Situation gemeinsam durchgestanden zu haben, verband uns viel stärker, als es die harten Stunden der Ausbildung jemals hätten schaffen können. Ein starkes Band, fast unauflösbar, hielt uns zusammen.
    Erst später, als die Erregung langsam abklang, es im Innenhof des Polizeihauptquartiers stiller wurde und sich kleine Gruppen um das Lagerfeuer oder in dunklen Ecken sammelten, wandelte sich das Hochgefühl in blanke Sorge um den verletzten Kameraden. Wie ein Drogentrip, der den Kopf mit positiver Energie überschwemmt und später die Verzweiflung über die eigene Situation umso spürbarer werden lässt.
    Wir hatten an diesem Tag Großartiges geleistet. Der Foxtrott Zug hielt die Stellung gegen einen starken Gegner, der Hotel Zug hatte uns wirkungsvoll unterstützt. Wir sicherten mit nur einer Gruppe die ganze nördliche Flanke des Dorfes, und India schaffte es, die Umzingelung der ganzen Kompanie zu verhindern.
    Aber der Preis dafür war hoch. Einer von uns. Viele von ihnen. Wie soll man das Leben eines Menschen in einer solchen Situation bemessen? Welcher Verlust wog schwerer? Der Kamerad, dessen Lebensumstände zu Hause die gleichen waren wie meine eigenen? Der Feind, in dessen Land ich zur Unterstützung der Menschen gekommen und das für mich trotzdem so schwer zu verstehen war?
    Vor Ort gab es immer Leid. Die Situation bot immer Schrecken. Wogen die vielen positiven Erfahrungen, die ich hier gesammelt hatte, diesen Schrecken auf? Lohnte es sich trotzdem, das ganze Elend zu ertragen?
    Am Morgen nach der Operation in Khalalzay kehrten wir auf die Höhe 431 zurück. Wir hatten Post dabei, die gerade ins Polizeihauptquartier geliefert worden war. Der Kompaniefeldwebel hatte mir augenzwinkernd einen dicken, braunen Umschlag in die Hand gedrückt. Außerdem noch ein paar kleine Briefumschläge. In dem großen Umschlag steckte die aktuelle Ausgabe des Playboy. Ich freute mich riesig über diese Geste, denn sie war mit Wertschätzung verbunden. Am meisten freute ich mich aber über einen Brief von zu Hause. Meine kleinen Geschwister hatten mir wunderschöne Bilder gemalt, auf denen sie ihre Sehnsucht nach mir zum Ausdruck brachten. Ich hängte die feinen Zeichnungen an die groben

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