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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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schießen die genau.
    Wir konnten den Abschuss nicht hören. Aber wenige Sekunden, nachdem dieser über Funk bestätigt worden war, heulten zwei Granaten mit solchem Lärm heran, dass wir uns die Ohren zuhielten. Wie zwei graue Hexen rasten sie durch die Luft und schlugen schließlich an der Baumreihe in den Boden. Der Knall war gigantisch. Der Boden unter unseren Füßen vibrierte. Wir brachen in Jubel aus. Endlich.
    Nur wenige Minuten später erhielten wir die Nachricht, dass die Belgier einen Luftangriff angefordert hatten. Offenbar hatten sie von ihrer Stellung aus etwas beobachtet, das uns entgangen war. Der Donnerhall am Himmel kündigte den amerikanischen Kampfjet lange an, bevor wir ihn sehen konnten. Noch niemand von uns hatte einen Bombenabwurf miterlebt. Innerlich freute ich mich darauf und hoffte, dass viele Aufständische erwischt würden. Mit lautem Heulen rasten die Bomben der Erde entgegen. Der Jet verschwand am Himmel und die gewaltige Explosion erschütterte uns. Wir lagen im Graben und klatschten laut Beifall.
    Es lebe die Air Force!, schrien wir vor Freude.
    Parallel zu den schleppenden Bauarbeiten an dem Vorposten, die immer wieder unterbrochen werden mussten, weil die Baustelle unter Mörserbeschuss stand, lud der Kommandeur alle einheimischen Führer der Umgebung ein, um mit ihnen das weitere Vorgehen zu besprechen. Sie berichteten, dass es bisher keine zivilen Opfer gegeben hatte, was eine gute Nachricht war. Außerdem waren inzwischen Meldungen eingetroffen, dass schon einige Feinde während der Kampfhandlungen getötet worden waren. Ich empfand es als äußerst sinnvoll, dass die Einheimischen unmittelbar mit einbezogen wurden. Es sollte ein Zeichen sein, dass wir diese gewaltigen Anstrengungen letztendlich auch für sie auf uns nahmen.
    Abends konnten uns von anderen Zügen endlich ein paar Notrationen gebracht werden. Wir hatten jetzt seit zwei Tagen fast nichts gegessen. Zur Nachtwache fand ich mich wieder mit Muli auf dem Wall ein.
    Wie kannst du so gelassen sein, bei all dem Schlimmen um uns herum?, fragte ich.
    Weißt du, erzählte er mit ernstem Gesichtsausdruck, nur ein kompletter Idiot nimmt an, dass im Leben keine Schwierigkeiten auf uns warten. Das Problem der meisten Menschen ist, dass sie in ihrer rosaroten Plüschwelt leben. Alles Negative um sich herum blenden sie aus, solange es nicht den eigenen Vorgarten betrifft. Aber wenn dann mal was Schlimmes passiert, sind sie damit überfordert. Und das zeigt mir, dass es vielen Menschen zu Hause zu gut geht. Weil sie den Überfluss und die Sicherheit nicht zu schätzen wissen.
    Im Schlafsack dachte ich noch lange über diese Worte nach. Wie leicht meckerten und nörgelten wir an allem herum. Besonders an unserem eigenen Leben. Aber lag es nicht in unserer eigenen Hand, etwas daraus zu machen? Ich war hier. Hier in Afghanistan. War das mein Weg, etwas aus mir zu machen?
    Warum war ich hierhergekommen? Ich dachte an meine Motivation vor dem Einsatz. Ich hatte mich richtig darauf gefreut, wollte wissen, wie es ist, eingesetzt zu werden. Mich in meinem Beruf weiterzuentwickeln.
    Und jetzt?
    Hatte ich mich weiterentwickelt? Hatte ich einen Zugang zu den Widersprüchen, die sich mir immer wieder offenbarten? In Deutschland war es mir wie den meisten Menschen ergangen: Das Ganze hier war weit weg, nicht greifbar, unverständlich. Hatte es sich mir jetzt erschlossen, nachdem ich all das am eigenen Leib erlebte? Die faszinierende Schönheit dieses Landes, den Schrecken des Krieges? Schon oft wurde berichtet, wie Soldaten im Krieg verrohten. Und auch hier konnte ich etwas Ähnliches beobachten, wenn meine Kameraden geringschätzig über die Einheimischen sprachen. Sie abwertend »Kuddel« nannten. Oder wenn ihre Witze immer derber wurden, je länger wir hier waren. Was war mit mir? Ich konnte darauf im Moment keine eindeutige Antwort geben. Vermutlich musste dafür noch Zeit verstreichen. Ein paar Monate vielleicht. Oder ein paar Jahre.
    Aber wahrscheinlich hatte mich dieses Land bereits jetzt stärker verändert, als es mir bewusst war. Es würde sich erst vollständig zeigen, wenn ich wieder zu Hause war. Aber auf welche Weise?
    Würde ich Nacht für Nacht schweißnass aufwachen? Oder gab es eine Möglichkeit, all das zu verarbeiten, was in dieser Zeit mit Druck auf mich einprasselte? Als ich an die Intensität dieser Einflüsse dachte, kamen mir sieben Monate gar nicht mehr so lang vor …
    Jedenfalls war es noch nicht so weit. Noch war

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