Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
große Kerle mit gigantischen Muskeln. Sie wirkten urwüchsig, wie ausgewachsene Bären.
Aber gerade Dolli hatte auch etwas Sensibles an sich. Er sprach nicht grobschlächtig, wie man es von so einem Mannsbild vielleicht erwarten würde. Und seine Augen hatten einen sehr sanften, freundlichen Ausdruck. Butch dagegen wirkte wie ein würdevoller Wikinger, ein Krieger in den besten Jahren. Er sprach nicht viel, aber wenn er etwas sagte, hatten seine Worte Gewicht. Diese drei waren das Rückgrat unserer Gruppe. Eine Verstärkung, die uns nur allzu willkommen war.
Hey, wir sollen alle gleich in unserem Zelt sein, Besprechung mit Muli, sprach ich sie an.
Was ist denn los?, fragte Dolli mich.
Ich weiß es nicht, aber die ganze Gruppe soll da sein. Beeilt euch.
Ja, sagte Butch.
Das Zelt wurde durch die Klimaanlage halbwegs kühl gehalten. Die Holztüren am Zelteingang und die Fenster durften nicht offen stehen, um die eingestellte Temperatur halbwegs stabil zu halten. So entstand ein seltsames Klima aus verbrauchter, aber angenehm kühler Luft, die nach dem roch, was sich im Raum befand. Deo, Handtücher, zum Trocknen aufgehängte T-Shirts, Socken an verschwitzten Füßen, Kampfstiefel, die wir weit öffneten, um sie zu lüften.
Jeder hatte sich einen Platz gesucht. Ein paar spielten auf einem der Betten Karten, Mica schnitt sich die Fingernägel mit einer kleinen Schere und ließ sie auf ein Handtuch fallen, das er vor sich ausgebreitet hatte. TJ saß im Schneidersitz auf seinem Bett und schrieb etwas in ein kleines Buch, Kruschka lag auf dem Bett und spielte mit seinem Handy herum. Irgendwer hatte Musik angemacht, die ein Ipod über einen kleinen Lautsprecher ausstrahlte. Ich setzte mich auf mein Bett und zählte die Gruppe durch.
Was will er denn?, rief Jonny.
Keine Ahnung, er hat nur gesagt, dass ich euch holen soll, antwortete ich mit einem Achselzucken.
Vielleicht dürfen wir jetzt in die Container umziehen, war von Kruschkas Bett zu hören.
Glaub ich nicht, die Alten sind noch nicht raus, sagte Russo, der mit verschränkten Armen an einem Spind lehnte.
Wahrscheinlich dürfen wir noch Wochen in den scheiß Zelten aus dem Rucksack leben, brummte TJ.
Ach, halt die Fresse, mischte Simbo sich ein. Du musst schließlich nur deinen Autoschlüssel lagern. Dafür brauchst du nur ’ne Hosentasche, du Opfer.
Simbo hatte eine sehr spezielle, farbenfrohe Art sich auszudrücken. Tatsächlich fluchte er mit jedem Satz. Dabei beleidigte er immer irgendwen, meistens seinen Gesprächspartner. Viele empörten sich darüber, allen voran TJ, der mit Simbos Art nicht zurechtkam. Schon mehrfach hatte es deshalb Streit gegeben.
Simbo war der direkteste Mensch, den ich kannte. Das mochte ich. Ähnlich wie Jonny sagte er immer seine Meinung gerade heraus, wobei er oft die Formen der Höflichkeit vergaß. Es war seine Art, sich auszudrücken, ich akzeptierte das. Ich wusste, dass er es nicht persönlich meinte, und überhörte einfach den Teil, der nicht die wesentliche Information enthielt. Muli nannte ihn wegen seiner Wortwahl »unser Ghetto-Kind«. Ob seine bildhafte Aussprache an seiner serbischen Abstammung lag oder daran, dass er aus einer Stadt im Ruhrgebiet kam – jedenfalls erkannte ich auch eine gute Auffassungsgabe in ihm. Er war ein scharfer Beobachter, und wenn man über einiges hinweghörte, merkte man, dass Simbo sich viele Gedanken machte, dies aber hinter seiner groben Art zu verstecken wusste.
Was willst du von mir, sagte TJ scharf.
Halt die Fresse, wiederholte Simbo. Wir sind hier so lange, wie wir hier sind, sagte er mit Bestimmtheit. Irgendwann gehts sowieso raus in den Krieg. Solange ich hier drin ’n scheiß Bett hab, ist es mir egal, wann das sein wird.
Muli kam eilig ins Zelt. Sind alle da?
Vollzählig bis auf Nossi, sagte ich.
So, es wird ernst, fing Muli langsam an. Er sah jedem Einzelnen im Raum in die Augen, als wollte er in unseren Gesichtern lesen. Das war sonst nicht seine Art. Er sprach bei Besprechungen zwar immer etwas ernster als gewöhnlich, aber so hatte ich ihn noch nie erlebt. Ich merkte, wie die Spannung stieg. Jeder von uns wartete darauf, was nun kommen würde.
Der Grund, warum ich jetzt ’ne Besprechung mache, ist folgender:
Der Chef möchte nicht warten, bis die anderen Züge hier sind, sondern jetzt schon mit uns los. Er hat uns als Erste mit nach Kundus genommen, weil Nossi und ich uns von früher her hier auskennen.
Seine Stimme hatte sich wieder entspannt, er
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