Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Yatim im Norden lag. Vielleicht war es eine Art Vorort oder Ausläufer. Jedenfalls waren wir dort schon einmal gewesen, um mit den Anwohnern zu sprechen. Weil die Belgier dort bereits mehrmals angegriffen worden waren, nannten wir den Bereich zwischen Dorf und Brücke das Hinterhaltgelände. Auf dem Weg vom Feldlager ins Polizeihauptquartier musste man zwangsläufig dort entlang, es gab keinen anderen benutzbaren Weg. Gestern hatten wir überraschend mitten auf der Straße bei der kleinen Siedlung angehalten. Muli wollte Informationen gewinnen. Ein Einheimischer um die dreißig war schüchtern gewesen, als würde er sich sehr fürchten. Ein paar Kinder hatten uns angebettelt, wir gaben ihnen Wasserflaschen und Kekse. Die älteren Männer, die auf Betonklötzen am Straßenrand saßen, waren ablehnend, als hätten sie gewollt, dass wir schnell wieder weiterfahren. Das Dorf lag keine drei Kilometer entfernt. Ich erinnerte mich, dass es dort sehr unübersichtlich und beengt war.
Versteht ihr mich, wandte sich Muli an den Belgier mit dem Bart.
Isch vestehe ein wenik Deutsch, sagte er und lachte, als ob er nicht genau wüsste, ob er es richtig gesagt hätte.
Okay, folgende Situation liegt vor, sagte Muli mit diesem ernsten Unterton, den er immer anschlug, wenn es wichtig wurde und man ihn nicht unterbrechen durfte. Ein Informant hat gemeldet, dass am östlichen Dorfrand, etwa hier, ein Sprengsatz versteckt wurde.
Er deutete mit dem Kreidestück auf die Straße, genau dort, wo das Dorf aufhörte und eine große freie, aber von Bäumen umgrenzte Fläche in Richtung Brücke anfing. Er malte einen Kreis um die Stelle.
Diese Information ist eine halbe Stunde alt und wurde von einer weiteren Quelle bestätigt. Wir haben eine Drohne über dem Gebiet, dort ist aber nichts erkennbar. Der Chef möchte, dass wir dorthin fahren und das überprüfen.
Jetzt, mitten in der Nacht?, warf Hardy ein.
Ich fand die Frage nicht ganz unberechtigt, zumal es schwer sein würde, einen Sprengsatz nachts überhaupt zu sehen. Außerdem war es in der Dunkelheit viel schwieriger, die Umgebung zu sichern.
Ja, jetzt sofort, antwortete Muli mit einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Der Chef will, dass wir die Situation vor Ort klären, bevor morgen der nächste Konvoi durchkommt. Dazu haben wir deutsche und belgische Kampfmittelbeseitiger und die Sanitäter dabei. Außerdem kommt ein Jammer mit.
Wie gehen wir vor?, fragte ein Oberfeldwebel, der sich als Kommandant des Jammers zu erkennen gab.
Dazu komme ich jetzt, sagte Muli. Wir fahren mit wenig Abstand und möglichst leise. Ich will vermeiden, dass man uns zu früh kommen sieht. Golf eins übernimmt die Sicherung, damit ihr Jungs arbeiten könnt.
Damit meinte er die Kampfmittelbeseitiger. Er deutete auf die Karte.
Wir halten in 150 Metern Abstand vor dem Ziel. Dann übernimmst du, Nossi, mit deinem Dingo die Sicherung in der Straße, die nach Qara Yatim im Norden führt. Du biegst ein, fährst aber auf keinen Fall weiter als nötig, gerade so, dass hinter dir noch durchgefahren werden kann. Russo, du machst mit deinem Transportpanzer die Straße nach Westen dicht. Wichtig ist, dass dort niemand durchkommt. Diesmal fahrt ihr nicht mit Russos Transportpanzer mit, sagte Muli dann noch, an Nossi gerichtet, sondern nehmt einen Dingo, den ihr von der zweiten Gruppe ausleiht. Das ist mit Brandy abgesprochen. Dadurch haben wir noch eine Waffenanlage auf dem Dach mehr, weil nicht alle absitzen werden. Reine Fahrtzeit zum Zielort etwa fünf Minuten. Sobald wir vor Ort sind, sitzen wir ab. Ich mit meinen Jungs übernehme die Sicherung zu Fuß.
Muli schaute zu den Kampfmittelbeseitigern.
Ihr geht im Abstand von 10 Metern dahinter, reicht euch das?
Kein Problem, brummte einer der Männer.
Okay, der Jammer fährt als Einziger mit nach vorne, direkt hinter euch. Wir gehen in zwei Teams rechts und links der Straße vor. Ich bin auf der linken Seite und nehm Mica mit, Joe, du gehst rechts mit Wizo. Die Kampfmittelbeseitiger dahinter bleiben in der Mitte der Straße. Leichte Bewaffnung, kein Maschinengewehr, keine Panzerfaust. Sobald wir angegriffen werden, möchte ich, dass ein Nebelkörper geworfen wird, das machst du, Joe. Wenn der Nebel liegt, weichen wir sofort nach hinten aus. Ich will dann so schnell es geht auf die Fahrzeuge und die Killbox verlassen.
Die Killbox war die Gefahrenzone, in der man sich unmittelbar nach Eröffnung des Gefechts befand, wenn es sich um einen Hinterhalt
Weitere Kostenlose Bücher