Vier Zeiten - Erinnerungen
erklärte er sich bereit zu kommen, zur Freude des Orchesters und des höchst sachverständigen Berliner Publikums. Es kam zu zwei herrlichen Aufführungen der Bruckner-Symphonie Nr. VII.
Der andere Dirigent ist Carlos Kleiber. Man meint, es gäbe ihn nur im Traum, so scheu hält er sich unsichtbar und unhörbar zurück. Wenn er aber doch kommt und musiziert, wird der Traum Wirklichkeit. Freundlichst war er bereit, das erste dieser Benefizkonzerte zu leiten. Und dann gipfelte seine und des ganzen Orchesters Großherzigkeit für mich darin, daß sie mir am drittletzten Tag meiner zehnjährigen Amtszeit ein Abschiedskonzert in der Berliner Philharmonie gaben. Sie spielten zugunsten der »Nachbar-in-Not«-Hilfe für Bosnien. Und sie musizierten so, daß es keiner vergißt. Vor Beginn des Konzerts hatte der Orchestervorstand mir die Ehrenmitgliedschaft des Berliner Philharmonischen Orchesters übertragen. Die Philharmonische Kameradschaft hatte ein kleines Gedicht hinzugefügt, in dem es unter anderem hieß: »Die Privilegien sind beträchtlich, berechtigen Sie tags und nächtlich zur Nutzung jeden Instruments wie auch des Kameradschafts-Benz.«
Es war für mich eine kostbare Ehrung. Dennoch werde ich im Alter nicht auf meine Kindheitsinstrumente, die Geige, die Trompete und Posaune, zurückgreifen. Die Ehrung bleibt, solange ich lebe, trotz meiner Befugnisse ohne musikalische Störungen des Orchesters durch mich.
Staatsbesuch in Italien 1991. In der Mitte Präsident Francesco Cossiga, rechts von ihm Sergiu Celibidache, der mit seinen Münchner Philharmonikern in Rom einen tiefen Eindruck hinterließ.
Statt dessen erfüllt mich die gute Aussicht, der Devise des alten, von uns verehrten Orchesterintendanten Wolfgang Stresemann, des Sohnes des früheren Reichskanzlers Gustav Stresemann, zu folgen, dessen Buch den Titel trägt: »Und abends in die Philharmonie«. Dort fühlt man sich inmitten eines kundigen und empfindsamen Publikums zu Hause, vor allem dank Claudio Abbado, auch er ein Freund, der seit 1989 künstlerischer Leiter und ständiger Dirigent der Berliner Philharmoniker ist. Dank schulden wir ihm auch für seine intensive Förderung des musikalischen Nachwuchses, zum Beispiel in dem von ihm begründeten europäischen Gustav-Mahler-Jugendorchester. Darüber hinaus verbindet uns beide die britische Universität Cambridge, bei der ich im Juni 1994 die letzte in meine Amtszeit fallende akademische Ehrenpromotion gemeinsam mit ihm erhielt.
In den beiden Residenzen kam es neben der Musik zu Abenden der literarischen Kunst und der Wissenschaft. Martin Benrath spielte für uns seine Produktion »Fülle des Wohllauts« nach Thomas Mann. Martin Walser, der gesagt hatte, wir müßten uns mit dem Gang der Geschichte verbünden, den historischen Prozeß für uns arbeiten lassen, uns ihm fügen, ihm dabei aber unsere Interessen gewissermaßen einflößen, trug aus seinem Werk »Die Brandung« vor. Maria Wimmer las aus Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Die Schauspieler Bruno Ganz und Otto Sander verwandelten sich in Iwan Turgenjew und Gustav Flaubert, um aus der Korrespondenz der Dichter zu rezitieren. Gemeinsam bestritten Günter de Bruyn und Günter Grass einen Abend im Bellevue, wobei es zu einer Auseinandersetzung über das Verhalten der Bundeswehr zu Picassos gigantischem Werk »Guernica« kam.
Was mit Wolfgang Koeppen und Golo Mann begonnen hatte, wurde im Laufe der Amtszeit zu einer planmäßigen Reihe von Einladungen für herausragende Persönlichkeiten aus Anlaß eines vorgerückten Lebensjubiläums. Wir feierten den achtzigsten Geburtstag des Kölner Kardinals Höffner, eines führenden Vertreters der christlichen Soziallehre, der mit seinen Beiträgen zu Grundwerten und dem Menschenbild das politische Gewissen schärfte. Unter den Gästen waren auch die Kardinäle König aus Wien, Macharski aus Krakau und Lustiger aus Paris.
Karl Carstens kam zu unserer Freude anläßlich seines fünfundsiebzigsten Geburtstags in seine alte Residenz, die Villa Hammerschmidt. Gemeinsam mit Kanzler Kohl, mehreren Ministerpräsidenten der Länder und dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Roman Herzog, ehrten wir seine persönliche Humanität, seine praktische Klugheit und seine umsichtige Verfassungstreue.
Es gab Geburtstagsfeiern zu Ehren von Hans Georg Gadamer, dem Nestor unserer Philosophie, der sein Alter mit unserem Jahrhundert teilt, von Theodor Eschenburg mit seiner
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