Vier Zeiten - Erinnerungen
uns eine bewegende Anteilnahme am Schicksal der Menschen bot. Als ich dann erwähnte, ich hätte in dem Werk doch gern noch mehr von seinem Urteil über die preußischen Reformer und Bismarck erfahren, selbst wenn es auf Kosten von Geschichten aus Wien gegangen wäre, bekannte er sich spontan zu den Habsburgern. Seine unvergleichliche Gabe des Erzählens war Ausdruck seiner Poesie, gezähmt durch Forschung. Bei ihm hatte die Forschung ihre Demut und die
Poesie ihre Substanz. Seinen Dankbrief schloß er mit den Worten, er könne sich, dem Ende nahe, mit dem Gesagten zufriedengeben: »Groß nicht, aber gering auch nicht und manchmal anregend, sogar hilfreich - und niemandem untertan. Das genügt.«
Obwohl unsere Republik weder großbürgerlich wie die Villa Hammerschmidt in Bonn noch fürstlich wie das Hohenzollernschloß Bellevue in Berlin ist, waren diese Residenzen des Bundespräsidenten doch beide für ihre Aufgabe in hohem Maße geeignet. Zu Beginn meiner Amtszeit hatte sie der Münchener Professor Meitinger der notwendig gewordenen gründlichen Instandsetzung unterworfen. Dank seiner reichen historischen und praktischen Erfahrung, seines sicheren Stilgefühls und seines wahrhaft liebevollen Engagements war ihm sein Werk zum Besten gelungen. Er hatte einen Einklang für die architektonische Triade der Nützlichkeit, der Festigkeit und der Schönheit gefunden und am Ende vom Denkmalschützer bis zum Techniker alle Beteiligten überzeugt. Die Zusammenarbeit mit ihm war für meine Frau und mich eine Freude.
Die maßgebliche amtsinterne Steuerung dieser wie auch jeder späteren Bautätigkeit unter Einschluß des neuen Berliner Amtsgebäudes neben dem Schloß Bellevue lag in der Hand von Walter Karschies. Das Bundespräsidialamt hatte ihn dem Kanzleramt in aller Freundschaft abgeworben. Mit seiner Übersicht, seiner Energie und steten Hilfsbereitschaft schuf er die unentbehrlichen Voraussetzungen für Arbeit und Leben in den Residenzen.
Der Haushaltsausschuß des Bundestages hatte sehr sachlich und konstruktiv mitgewirkt. Um mit der gebotenen Strenge über die Aufwendungen zu entscheiden, hatte er eine seiner ordentlichen Sitzungen eigens im Bellevue abgehalten.
Mehrere Museen und private Sammlungen liehen Kunstwerke für die Residenzen auf großzügige Weise aus. In der Villa Hammerschmidt herrschten deutsche Impressionisten und die
klassische Moderne vor, mit Werken von Max Liebermann und Max Slevogt, Lovis Corinth und Wassily Kandinsky, Paul Klee und Max Ernst, Emil Nolde und Ernst Ludwig Kirchner. In einem Raum hing ein Bild von Beckerath, das Johannes Brahms darstellte, den aber zu unserem Vergnügen mancher Betrachter für Karl Marx hielt. Schräg hinter dem Platz für den jeweiligen Hauptgast im Empfangszimmer hing ein köstliches großes Gemälde, das in vorherrschend violetten Farben eine leichtbekleidete Mandolinenspielerin von Kirchner darstellte. Auf diese Weise fanden sich die britische Königin und Gorbatschow, Mandela und Papst Johannes Paul II. in Pressebildern mit der extravaganten Musikantin als Hintergrund wieder.
Im Berliner Schloß Bellevue dominierten einerseits Bilder aus der preußischen Geschichte, zum anderen zeitgenössische Werke aus Ost- und Westdeutschland, darunter Arbeiten von Immendorff und Heisig, Mattheuer und Tübke. Für den großen Saal des Schlosses, der den Konzerten, Lesungen, Aufführungen und Empfängen diente, hatte Gerhard Graubner zwei Kissenbilder von überdimensionaler Größe geschaffen, welche, den Farbtönen von Turner und Monet folgend, bei den Veranstaltungen und bei gedämpftem Licht zum Meditieren einluden. In der Empfangshalle des Schlosses übergab ich Bundespräsident Herzog eine Ausstellung mythisch-symbolischer Werke von Markus Lüpertz.
Die parkartigen Gärten rings um die Residenzen, die unter der besonderen Obhut meiner Frau gediehen, dienten - neben der offiziellen Begrüßung von Staatsgästen - alljährlich vor allem großen Freiluftveranstaltungen mit Jugendgruppen unterschiedlichster Provenienz, darunter auch immer wieder mit den älteren und jüngeren Stipendiaten der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Sie kamen mit ihren Familien aus aller Herren Länder und verbrachten ein Jahr in Deutschland mit ihren Studien. Unter der impulsiven und ingeniösen Betreuung durch Heinrich Pfeiffer, den Leiter der Stiftung, ist hier eine große
weltweite Humboldt-Familie herangewachsen, die zu den überzeugtesten Freunden von uns Deutschen rund um den Globus
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