Vier Zeiten - Erinnerungen
Bereitschaft unseres Landes beeindruckt, Kriegsopfern, Flüchtlingen und Asylsuchern in größter Zahl zu helfen. Mir dankte er vor allem für mein Engagement im deutsch-polnischen Verhältnis.
Wenige Monate vor meinem Besuch hatte der Vatikan die Enzyklika »Veritatis splendor« herausgegeben. Darin kamen die Sorgen des Papstes zum Ausdruck, über die er klar und deutlich mit mir sprach: Nicht nur die Menschen im Osten hätten mit den moralischen Konsequenzen des politischen und wirtschaftlichen Systemwechsels zu ringen. Auch der Westen unterliege in zunehmendem Maß einem subjektivistischen Mißverständnis der Freiheit; seine wachsende ethische Beliebigkeit berge die Gefahr, der Demokratie zu schaden.
Bei diesem wie allen früheren Gesprächen mit dem Papst ging es auch um die zwischenkirchlichen Beziehungen. Deutschland ist das Land der Reformation. Katholische und evangelische Christen sind zahlenmäßig ungefähr gleich stark bei uns. Die
theologische Annäherung zwischen Katholiken und Lutheranern ist weit gediehen. Die Rechtfertigungslehre Luthers, die das kontrovers-theologische Hauptthema in und seit der Reformation war, hat mittlerweile zu einem Einverständnis geführt. Anders sieht es noch im kirchlichen Amtsverständnis und in der Praxis der Gottesdienste aus. Was ich schon 1986 auf der Schlußversammlung des Aachener Katholikentages vor fünfzigtausend Teilnehmern als Bitte vorgetragen hatte, unterbreitete ich mehrfach und persönlich auch Papst Johannes Paul II.: Millionen von Ehen und Familien in Deutschland sind »gemischtkonfessionell«. Es wäre eine Ermutigung und ein Geschenk für sie und uns alle, wenn es uns gegeben wäre, uns gegenseitig bei Gottesdienst und Eucharistiefeiern als Gäste voll zuzulassen. Das Mahl, das wir feiern, ist doch ein Mahl der Liebe Christi. Kann uns dies nicht helfen, näher zusammenzufinden? Solange es uns verwehrt bleibt, trägt es mehr zur Entchristlichung in den Familien bei als zur Stärkung ihres Glaubens. Der Papst hörte es sich auf seine väterlich-gütige Weise schweigend an.
Beim Besuch in Rom besuchte ich zum Abschied meinen Kollegen Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro, dessen Mut und Glaubwürdigkeit der italienischen Demokratie entscheidend helfen, mit der Krise ihres Parteienwesens fertig zu werden. Es gab ein Wiedersehen mit seinem Vorgänger, meinem langjährigen Freund Francesco Cossiga, der nie ein Blatt vor den Mund genommen hatte, wenn es galt, Mißständen zu wehren. Mit dem klugen Ministerpräsidenten Carlo Ciampi kam es zu einem fruchtbaren Austausch von Gedanken über Europa.
Ein außergewöhnliches Zeichen zu meinem Abschied dachte sich Václav Havel aus. Er lud sieben Staatsoberhäupter Mitteleuropas in die ostböhmische Stadt Litomyšl ein, in der Bedřich Smetana geboren ist, einer der wichtigsten Komponisten tschechischer Musik. Die tschechische Republik, Polen, die Slowakei, Slowenien, Ungarn, Österreich und Deutschland waren vertreten.
Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in der Bonner Villa Hammerschmidt. In jeder meiner fünf Begegnungen mit ihm sprach er von seiner Sorge über eine wachsende ethische Beliebigkeit in der freien Gesellschaft.
Wir trafen uns im großen Renaissanceschloß der Stadt und sollten über Mitteleuropa diskutieren. Jeder von uns gab diesem historisch geprägten, aber auch nicht unbelasteten Begriff seine eigene Note. Einig waren sich die anderen sechs, daß sie mit Sorgen nach dem Osten und mit Sehnsucht nach dem Westen blicken. Das machte es mir leicht, die Bedenken zu zerstreuen, die schon vor unserem Treffen in französischen und britischen Medien zu lesen waren, wonach Deutschland nun vielleicht doch wieder seine Westbindung lockere, um Führungsmacht in Mitteleuropa zu werden. Für eine zweistündige Diskussion unter uns sieben hatte man mich zwar sinnigerweise unter ein
großes Gemälde plaziert, welches den Sieg des Prinzen Eugen im Spanischen Erbfolgekrieg bei Höchstädt an der Donau gegen die Franzosen verherrlichte. Aber es war und es bleibt völlig evident, daß Deutschlands heutiges nahes Verhältnis zu Frankreich endgültig und unwiderruflich ist und daß unsere mitteleuropäische Rolle sich darauf konzentriert, den Reformdemokratien Ost-Mitteleuropas beim Eintritt in die Europäische Union zu helfen. Zugleich sprach ich deutlicher als meine Kollegen eine dringende Botschaft an die Russen aus, sich jeder Hegemoniebestrebung in ihrem westlichen Umkreis zu enthalten.
Zusammen mit
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