Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
Vom Netzwerk:
lagen, trafen wir uns unter
sechs Freunden in einem Gehöft. Die Wogen gingen hoch, bis einer von uns in der Erregung seine Pistole zog und auf das Hitlerbild schoß, das dort an der Wand hing. Das war ein gefährlicher Schuß, der aus dem Herzen kam, aber des Schutzes durch eine Demonstration der Solidarität bedurfte. Deshalb schoß ich mit meiner Pistole sofort hinterher, und die anderen folgten. Keiner durfte und keiner wollte sich ausschließen von dem, was geschehen war und noch hätte folgen können. Das Bild verschwand im Ofen, die Wand wurde mit einer Karte geschmückt, das Ganze gegenüber dem später eintreffenden Regimentskommandeur durch eine fingierte Keilerei drapiert.
    Es blieb aber nicht bei solchen naiven Ausbrüchen der Ohnmacht. Wir waren in unserem Regiment weit weg von den Machtzentralen, und doch ging es nun vor allem um eines: um Widerstand. Zwei Offiziere waren für mich die Vorbilder und Wegweiser.
    Der eine war mein schon erwähnter gleichaltriger Freund Axel Bussche. Er war es, der uns das Beispiel dafür gab, sich selbst am allermeisten zuzumuten, wenn es um die Befolgung fragwürdiger Befehle ging. Immer wieder wurde er verwundet, weil er sich am schonungslosesten exponiert hatte. Nach einer dieser Verwundungen war er vorübergehend zu einer Einheit im rückwärtigen Heeresgebiet bei Dubno in der Ukraine abkommandiert worden. Im Herbst 1942 wurde er dort mit eigenen Augen Zeuge, wie tiefe Gräben gezogen, wehrlose Menschen in Massen erschossen und in die Gräben geworfen wurden. Es waren Juden, Opfer der berüchtigten Einsatzgruppen. Als er zum Regiment zurückkehrte, berichtete er mir von diesem unvorstellbaren Grauen. Es waren tief aufwühlende Freundesgespräche. Sein Entschluß reifte heran, das eigene Leben zu opfern, sobald es zu einem Attentat auf Hitler kommen würde.
    Was dafür notwendig wäre, darüber sprachen wir mit dem anderen, weitaus älteren Freund, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, Fritzi genannt, Reserveoffizier in unserem Regiment. Er hatte schon einen dramatischen Weg hinter sich. Auf der Suche nach einem nationalen Sozialismus war er 1932 der NSDAP beigetreten, wurde Polizeivizepräsident von Berlin und später stellvertretender Oberpräsident von Schlesien. Aber seine anfängliche Begeisterung verwandelte sich rasch in schroffe Enttäuschung. Entsetzen über Rechtsbrüche und Verbrechen führte ihn Schritt für Schritt in den Widerstand, in dem er schließlich zu einer zentralen, treibenden Führungspersönlichkeit wurde. Er war eine revolutionäre Ausnahmeerscheinung, so kompromißlos und provokant im Denken wie bedenkenlos im Handeln.

    Axel von dem Bussche hatte während des Rußlandkrieges einen Massenmord an Juden in der Ukraine mit eigenen Augen gesehen. Wenig später stellte er sich dem Grafen Stauffenberg zur Verfügung, um bei einer Uniformvorführung Hitler und sich selbst in die Luft zu sprengen. Doch ein britischer Luftangriff zerstörte die Uniformen, und Bussche verlor an der Ostfront sein rechtes Bein. Wir waren Regimentskameraden und seit der Vorkriegszeit befreundet. Hier besuchten wir dänische Widerstandskämpfer an einer Gedenkstätte in Kopenhagen.

    Planmäßig sammelte er Gesinnungsfreunde. Als Graf Stauffenberg in Berlin anläßlich einer Vorführung neuer Uniformen bei Hitler die Gelegenheit zu einem Attentat gekommen sah, schlug ihm Schulenburg als den gesuchten jungen Offizier Axel Bussche vor, der sich auf Hitler stürzen und sich mit ihm in die Luft sprengen sollte. Im Regimentsstab organisierte ich für Bussche die technisch schwierige, getarnte Verständigung mit Stauffenberg und die Reisepapiere nach Berlin. Er stand schon in der Zentrale bereit, als im letzten Moment ein alliierter Fliegerangriff die Uniformen zerstörte. Bussche kehrte an die Front zurück, und bevor eine neue Uniformvorführung arrangiert werden konnte, wurde er bei uns erneut so schwer verwundet, daß er ausfiel.
    Schulenburg wurde vom Regiment nach Berlin zurückversetzt. Zum letzten Mal traf ich ihn im Juni 1944 während eines Heimaturlaubs in Potsdam. Ohne genaue Einzelheiten unterrichtete er mich über einen bald bevorstehenden neuen Anschlag durch Stauffenberg und besprach notwendige Schritte unmittelbar danach, für die er sich meiner Bereitschaft versicherte, sobald ich die Signale bekäme. Vier Wochen später scheiterte das Attentat des 20. Juli 1944. Fritzi wurde am selben Abend verhaftet. Vor dem Volksgerichtshof begegnete er dem schreienden

Weitere Kostenlose Bücher