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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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überwiegend mit innenpolitischen Fragen, vor allem mit solchen, die ihren Staat oder Wahlkreis betreffen. Manchmal zeigt sich dies in erstaunlichen Einseitigkeiten der Information. Ich erinnere mich eines Gesprächs, das ich später einmal als Regierender Bürgermeister mit zwei US-Senatoren in Washington D.C. hatte. Sie waren lebhaft am Weizenhandel mit der Sowjetunion interessiert und hatten insoweit fast nur gute Worte für die Moskauer Führung. Zugleich waren die beiden Herren sichtlich erstaunt, von mir zu erfahren, daß amerikanische Soldaten in West-Berlin stationiert seien und daß dies auch bitter nötig sei.
    Man darf ja auch nie vergessen, wie wenig amerikanischen Parlamentariern für ihre Chancen in den heimatlichen Wahldistrikten damit gedient ist, sich in einem umfassenden Sinne außenpolitisch zu profilieren. Der weltweiten Verantwortung der USA und ihren globalen Interessen steht in dem riesigen Land zu Hause bei den Bürgern ein Minimum an Information und Aufmerksamkeit für internationale Fragen gegenüber. Einmal habe ich vierzehn Tage lang an einem Lehrgang in den Bergen von Colorado teilgenommen. Täglich las ich dort die einzig verfügbare Zeitung, die Denver Post, nach unseren Maßstäben eine große und gute Regionalzeitung. Während dieser zwei Wochen tauchte dort nur eine einzige Nachricht über europäische Angelegenheiten auf. Aber welche? Es war der Bericht über einen Exorzistenprozeß in Würzburg.
    Das Gesamtbild darf aber nicht von solchen einzelnen Erfahrungen dominiert bleiben. Im ganzen empfand ich das Niveau an außenpolitischer Information und Verantwortlichkeit in den auswärtigen Ausschüssen des Senats und des Repräsentantenhauses in Washington als beeindruckend hoch, leider höher als gegenwärtig.
    Helmut Kohl gewann einen ähnlichen Eindruck, als er zusammen mit mir seinen Antrittsbesuch als Oppositionsführer
bei Präsident Carter machte. Die Verständigung mit dem neugewählten amerikanischen Präsidenten war für uns alle in Europa wichtig und gar nicht leicht. Denn dieser suchte für seine von den bisherigen Wegen abweichende neue Menschenrechtspolitik nach einer internationalen Ruhe, die uns die Sowjetunion mit ihrer wiederbelebten aggressiven Rüstungspolitik nicht ließ. Kohl erzielte mit seiner Person und seinen Argumenten im Weißen Haus und vor allem auf dem Kapitol eine positive Resonanz. Es entstand mit den führenden Mitgliedern des Kongresses eine persönliche Atmosphäre des Vertrauens, die für Kohl in seiner späteren Kanzlerschaft außerordentlich wertvoll war.
    Kurz davor hatte ich an einer Delegationsreise aller Fraktionen des Bundestages in die USA teilgenommen. Den Vorsitz führte wiederum in fairer und behutsamer Weise die Bundestagspräsidentin Renger. Diesmal hatte sie es nicht so schwer mit Mitgliedern ihrer eigenen Fraktion wie kurz zuvor bei der Moskauer Reise mit Wehner. Es war ein von beiderseitiger Freundschaft geprägter Besuch. Dabei erinnere ich mich eines erheiternden Erfolges von Hermann Höcherl, dem ehemaligen Bundesinnenminister, bekannt für seinen Verstand, seinen Humor und seine ausgefallenen Körpermaße, die ihm offenbar gelegentlich Probleme bei der Auswahl passender Bekleidung verschafft hatten. Um dieser Schwierigkeit abzuhelfen, besuchte er das größte und renommierteste amerikanische Herrenkonfektionsgeschäft, Brooks Brothers in New York, und bat mich, als beratender Dolmetscher mitzugehen. Wir begannen die Suche im sechsten Stock, leider erfolglos. Im fünften suchten wir verbissen fast eine Stunde lang -wieder nichts Passendes. Auch den vierten mußten wir mit leeren Händen verlassen, und so weiter bis zum Parterre. Dort empfing uns ein kreidebleicher Geschäftsführer. Er machte eine Verbeugung, erklärte tief deprimiert, in seiner langjährigen Praxis sei es ihm noch nie widerfahren, einen Kunden nicht zufriedenstellend bekleiden zu können. Unamerikanisch wortreich entschuldigte er sich, dem
Schluchzen nahe. Mein Höcherl aber dankte huldvoll und verließ strahlend das Haus. Als erstem war es ihm gelungen, die Unfehlbarkeit der Firma zu widerlegen. Die Figur Höcherl hatte gesiegt.
    In der ganzen Außen- und Sicherheitspolitik ergriff Kanzler Schmidt die Initiative. Konsequent hielt er sich an die Harmel-Doktrin der Nato, also an die untrennbare Verbindung von westlicher Verteidigungsbereitschaft und Entspannungspolitik. Schon 1975 hatte er eine der notwendigen Vorbedingungen für einen Erfolg der Gipfelkonferenz

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