Vier Zeiten - Erinnerungen
erklärte ich ihm, es handele sich um ein Geschenk meiner Frau für mich und ich sei nicht bereit, ohne die Knöpfe wieder abzureisen. Zunächst geschah gar nichts. Am nächsten Tag wurde unsere Delegation vom sowjetischen Staatspräsidenten Podgorny empfangen. Wir versammelten uns gerade vor dem Audienzsaal im Kreml, die Tür ging auf, da schob mir plötzlich jemand von hinten einen Briefumschlag in die Hand, mit harten Gegenständen im Inneren. Es waren die Manschettenknöpfe. Offenbar hatte ich die natürlich unbegründete Furcht ausgelöst, ich würde Herrn Podgorny mit meinem Verlust vertraut machen. In allem Glück über den Fund bewahrte ich ein schlechtes Gewissen, denn die ganze Sache war ja durch meinen Fehler entstanden, und was für Folgen sie ausgelöst haben mag, habe ich nicht erfahren.
So ernst und aufschlußreich die Gespräche verliefen, so unberechenbar waren die Sowjets im Einhalten von Verabredungen. Einmal hatte der deutsche Botschafter eine hochrangige russische Runde für Frau Renger und ihre Delegation zum Essen eingeladen. Bei Tisch aber fand sich unsere Präsidentin ohne ihre
beiden für sie vorgesehenen Nachbarn. Auch ich saß neben anderen als den angekündigten Russen. Botschafter Sahm seufzte nur und sagte, so sei es hier: Wer eingeladen wird, antwortet nicht. Wer zugesagt hat, kommt nicht. Und wer kommt, war gar nicht eingeladen.
Viele deutsche Journalisten waren mit uns gereist. Den Vogel unter ihnen schoß Friedrich Nowottny ab. Er ließ sich das Studio des sowjetischen Fernsehens in Leningrad öffnen und veranstaltete dort mit der ganzen Delegation eine veritable Live-Sendung als »Bericht aus Bonn«. Die Gastgeber kamen aus dem Staunen nicht heraus.
Es war für uns alle eine denkwürdige Begegnung mit der Sowjetunion. Wir waren mit tiefen Schatten der Vergangenheit konfrontiert worden und hatten doch Chancen für einen neuen Anfang gefunden.
Unter mehreren späteren Reisen in die Sowjetunion ist mir vor allem eine weitere im Gedächtnis geblieben: die Antrittsreise von Helmut Kohl als Kanzlerkandidat der Union im September 1975, zusammen mit dem Bundestagskollegen Werner Marx und mir. Es wurde für Kohl ein außen- und innenpolitisches Examen zugleich.
Die erste Schwierigkeit war allerdings nur rein mechanischer Natur. Wir hatten gerade Sagladin besucht, den Leiter der auswärtigen Abteilung im Hauptquartier der KPdSU. In einem alten Fahrstuhl, der rings vom Treppenhaus umgeben und einsehbar war, fuhren wir nach unten. Das heißt, wir wollten fahren, blieben aber in der Mitte stecken und durften nun fünfundvierzig Minuten lang zahllose Funktionäre des Sowjetimperiums beobachten, wie sie die Treppen hinauf und hinunter hasteten, ohne uns zu beachten. Wir konnten uns schon die Schlagzeilen in deutschen Boulevardblättern über unser Schicksal lebhaft vorstellen, bis sich endlich jemand an die Reparatur machte. Man muß eben die Erfahrung machen, daß ein Land zum Pionier der Weltraumfahrt werden kann, ohne deshalb in
der Zentrale seiner politischen Macht funktionierende Aufzüge zu benötigen.
Der ernste Test kam später. Während unseres Besuchs an der Kama, achthundert Kilometer von Moskau entfernt, erschien in der Prawda ein bösartiger, hetzerischer Artikel gegen Franz Josef Strauß. Wie sollten wir reagieren? Die Russen kannten natürlich die Spannungen zwischen Kohl und Strauß sehr genau. Mit einer sofortigen Abreise drohen, was verschiedene der mitgereisten deutschen Journalisten verlangten? Das hätte es den Sowjetführern sehr leicht gemacht, den Besuch des frischen Kanzlerkandidaten als gescheitert zu deklarieren. Aber zu milde aufzutreten, hätte Kohl zu Hause schwer überwindbare neue Schwierigkeiten mit der CSU eingetragen. Kohl bestand den Härtetest gut. Er sagte einen Teil des Programms ab, bis unsere Gastgeber sich klärend und vernünftig einließen. Es war eine für alle Beteiligten wertvolle Reise, wie sich später zeigte.
Das andere Hauptreiseziel während der siebziger Jahre war Amerika. Man war sich nahe über den Atlantik hinweg. Damals standen wir Parlamentarier beider Länder miteinander auf vertrautem Fuß. Wir kannten uns persönlich weit besser als heute. Das hatte natürlich auch seine guten Gründe. Denn noch war trotz aller Entspannung kein Ende des Kalten Krieges abzusehen. Es bedurfte also laufender enger Abstimmung über die Haltung im westlichen Bündnis.
Mit der Schlußakte von Helsinki waren die Mächte aus unterschiedlichen, zum Teil
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