Vier Zeiten - Erinnerungen
Haltung, vor allem wegen meiner positiven Einstellung zu den Polen-Verträgen. Er steuerte die Kandidatur des Bundestagspräsidenten Carstens an, der ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Bayern unterhielt.
Es kam über diese Frage zu keinerlei ernsthaftem Disput, vor allem nicht mit mir. Zwar wurde eine Zeitlang darüber spekuliert, daß Kohl eine zweite Amtszeit für den amtierenden Bundespräsidenten Walter Scheel anstrebte, um dadurch den Weg für eine spätere erneuerte Koalition zwischen CDU und FDP zu ebnen. Doch erfuhr ich selbst darüber nichts. Auch erwartete ich durchaus nicht, daß Kohl, der es damals mit der CSU ohnehin schwer genug hatte, um meinetwillen einen Konflikt mit Strauß auf sich nehmen würde. Mit seinem Berliner Angebot an mich entledigte er sich eines möglicherweise lästig werdenden Problems auf die in Parteiführungen gekonnte Weise, nämlich auf personellen Verschiebebahnhöfen zielsicher zu rangieren. So wurde es auch allseits in den Medien kommentiert. Der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Fritz Ulrich Fack, pries mit Nachdruck Kohls gelungenen »Berliner Coup«, und sein Herausgeberkollege Johann Georg Reißmüller fügte hinzu, Kohl habe mit seinem Vorschlag den »lähmenden Beraterdualismus« innerhalb seiner Fraktion zwischen den harten Ostpolitikern und mir »schmerzlos« aufgelöst.
Das war alles durchaus zutreffend, und letzten Endes war es für mich ein Glück. Wie Kohl, so hatte auch ich hohen menschlichen und politischen Respekt vor Karl Carstens, mit dem zusammen ich jahrelang an den außenpolitischen Kapiteln unserer Programme gearbeitet hatte. Im übrigen hätte es mir die Aufgabe als Bundespräsident erschwert, daß ich nach wie vor ohne eigene Erfahrung in einem exekutiven politischen Amt war. Es gab also keinerlei Probleme zwischen Kohl und mir wegen seiner Nominierung von Carstens.
Der Vorschlag, nach Berlin zu gehen, reizte mich auf Anhieb. Auch wenn ich die letzten dreißig Jahre am Rhein gelebt hatte und mit meiner Frau und unseren vier Kindern zuletzt in Bonn aufs beste beheimatet war, so waren doch meine älteren und tieferen Wurzeln in Berlin nie ausgetrocknet. Es war die Stadt meiner Kindheit und Soldatenzeit. Im Keller des durch Brandbomben
zerstörten elterlichen Hauses hatte ich vor Kriegsende noch ein paar schwere Stunden miterlebt. In der Nachkriegszeit war ich durch meine Tätigkeit in der evangelischen Kirche wohl über einhundertfünfzigmal in der geteilten Stadt, vor allem auch immer wieder im sowjetisch besetzten Sektor gewesen. Meine Tätigkeit war darauf konzentriert, die konkreten täglichen Erfahrungen der Ost- und Westberliner für die allgemeinen Ziele der Ost-West-Politik nutzbar zu machen. Die Mentalität in der Stadt, niemanden alsbald durch Vorleistungen der Liebenswürdigkeit zu überwältigen, war mir ebenso wohlvertraut wie die bezwingende Art der Berliner, durch nimmermüdes, selbstironisches Meckern sich selbst die Couch des Seelenarztes zu ersparen. Auch war mir ihr unvergleichlich melodisches Sprachidiom durchaus geläufig. Ich verstand gerade davon mehr als alle bisherigen Regierenden Bürgermeister. Nur Peter Lorenz blieb mit seinem urberlinerischen Tonfall unerreichbar für mich.
Dennoch war es alles andere als ein leichter, politisch risikoloser Entschluß, nach Berlin zu gehen. Die politischen Parteien in Berlin hatten jahrzehntelang nichts als einen ständigen Auszug ihrer Talente nach Bonn erlebt. In umgekehrter Richtung tat sich kaum etwas. Als kurz nach mir Hans-Jochen Vogel von Bonn nach Berlin übersiedelte, empfing ihn ein Telegramm vom Wahlberliner Axel Springer mit dem Inhalt, er heiße Vogel willkommen in einer Zeit, in der Kandidaten wie Hunde nach Berlin geprügelt werden müßten. So ging es damals her. Auch war die Anziehungskraft der Parteien für eigenen guten Berliner Nachwuchs nicht überwältigend. Die Parteien waren einigermaßen verschlissen, durch allzulange Regierungsverantwortung oder durch fruchtlose Opposition. In der eigenen Partei gab es neben dem selbstlosen und hochherzigen Peter Lorenz eine Betonriege, und manche ihrer Mitglieder waren für die Verteilung erstrebenswerter Ämter untereinander doch noch aufgeschlossener als für das, was ich unter einer notwendigen Deutschland- und Ostpolitik verstand. Aber sie waren mir an
kommunalpolitischen Kenntnissen und Erfahrungen natürlich klar überlegen.
Bis zum Wahltermin im Juni 1979 blieb mir nur noch ein halbes Jahr,
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