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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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der CDU für blühenden Unsinn. Lummer gab mir zwar durchaus nicht recht, hielt sich aber an meine Direktive. Später, als er Innensenator und mein Vertreter in der Berliner Regierung wurde, haben wir nicht selten die Klingen gekreuzt und dennoch verläßlich zusammengearbeitet. Lummer war in wichtigen, aber nicht in allen Fragen anderer Meinung als ich. Und an Richtlinien und Verabredungen hat er sich stets gehalten.
    Zeitgenössischen Tendenzen im kulturellen und künstlerischen Bereich stand die Berliner CDU ziemlich fern. Als meine Frau und ich zum ersten Mal ein Stück von Botho Strauß in der Schaubühne am Halleschen Ufer besuchten, empfingen uns ringsumher befremdete Blicke: Was wir hier denn suchten, wurden wir gefragt; hier sei noch nie ein CDU-Politiker aufgetaucht.
    Trotz der Springer-Presse waren die Medien, vor allem die elektronischen, ziemlich eindeutig gegen einen politischen
Wechsel. Bei der Abschlußdebatte im Fernsehen saß ich ganz allein nicht nur den Vertretern der drei anderen Parteien gegenüber, also der SPD, der FDP und der Alternativen Liste, sondern nicht minder dem Moderator des SFB. Am objektivsten und fairsten waren die Rededuelle mit meinem eigentlichen Gegner, dem Regierenden Bürgermeister Stobbe.
    Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte hatten einen gewaltigen Einfluß in der Stadt, und zwar nahezu ausschließlich zugunsten der SPD. Der öffentliche Dienst war personell überbesetzt und gut versorgt. Manch ein Lehrling, der beim größten privaten Berliner Arbeitgeber, der Firma Siemens, ausgebildet worden war und nach der Lehre dort einen Arbeitsplatz erhalten hätte, zog eine Stelle bei der städtischen Müllabfuhr mit ihrer angenehmeren Arbeitszeit und ihren besseren Erholungsheimen vor. Eine Zeitung spottete einmal, warum denn nicht der Gesamtpersonalratsvorsitzende des öffentlichen Dienstes gleich direkt der Regierende des Eigenbetriebes Berlin werde.
    Kanzler Schmidt kam zum Wahlkampf in eine Großversammlung aller Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre. Dort erklärte er, der CDU-Kandidat Weizsäcker sei ja ganz nett, aber nicht repräsentativ für seinen Laden; im übrigen sei er weder Fisch noch Fleisch, sondern ein Klops. Große Aufregung bei der CDU! Wie könne man sich gegen solche Angriffe noch wehren? Mein mir eng vertrauter, ruhiger und phantasievoller Mitarbeiter Norbert Kaczmarek brachte mich auf die richtige Fährte der Erwiderung. Ich erklärte tags darauf, in Berlin gäbe es keine Klopse, sondern Buletten, und überdies sei den Berlinern ein Klops immer noch lieber als ein »Hamburger«.
    So ein Wahlkampf bietet mancherlei Erfahrungen. Einmal wurde ich in einer Versammlung von zweihundert Architekten examiniert. Was ich denn von jenem Wohnhochhaus in der Schlangenbader Straße hielte, wurde ich gefragt, durch dessen ausgedehnte Keller längsseits ein Arm der Stadtautobahn führe. Ich freute mich über dieses Thema und antwortete, wenn ich ein
listiges Teufelchen wäre und mir etwas Hübsches ausdenken wollte, um die Menschen zu piesacken, dann würde ich mir so ein unterirdisches Autobahnungetüm ausdenken, auf dem die Lastwagen lustvoll jede Nacht unter den Betten der schlafbedürftigen braven Bürger hindurchrasten. Da stand ein liebenswürdiger Herr auf, bedankte sich und sagte, er selbst sei nämlich jenes Teufelchen, das ich so bewunderte. Er war der Architekt von Haus und Straße.
    Manchmal ging es auch sportlich zu. In einer Festhalle gab es eine Woche lang jeden Nachmittag einen Seniorenball. Es galt, sich bei den Damen beliebt zu machen. Aber man war als Kandidat nicht im Angriff, denn es herrschte ausschließlich Damenwahl mit Abklatschen. Einmal glaubte ich, nun doch dem politischen Wahlsieg greifbar nahe zu sein. Denn ich tanzte innerhalb von zehn Minuten mit fünfundzwanzig verschiedenen großmütterlich schwungvollen Damen Walzer und mußte der letzten noch bis zu ihrem Tisch Geleitschutz geben, um ihren Mann zu besänftigen.
    Aber ach, im Juni 1979 war die Wahl. Im Gegensatz zum generellen, für sie negativen Bundestrend gewann die CDU zwar geringfügig an Stimmen hinzu, die sozialliberale Koalition aber hatte sich noch einmal behauptet. Es gab also wieder einmal die übliche Deutung eines Wahlergebnisses durch die Matadore: nur Sieger.
    Dennoch wurde die Lage für Stobbe alsbald wieder gefährlich. Trotz des klaren Wahlsieges von Schmidt gegen Strauß bei den Bundestagswahlen 1980 ging es in der Berliner SPD drunter und drüber. Stobbe

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