Vier Zeiten - Erinnerungen
bäumte sich durch eine Senatsumbildung dagegen auf, die seine Regierungsarbeit deutlich stärkte. Vor allem Peter Glotz als Senator für Wissenschaft und Forschung war eine wichtige Bereicherung. Von seiner Berufungspolitik an den Universitäten und dem von ihm gegründeten Wissenschaftskolleg profitiert Berlin bis auf den heutigen Tag. Für die Wirkung in der breiten Öffentlichkeit wurden jedoch wirtschaftliche
Rückschläge und Zusammenbrüche maßgeblich, vor allem der Konkurs des Bau- und Partylöwen Garski, bei dem das Land Berlin einen hohen Verlust erlitt. Hinzu kamen die ständig wachsenden Probleme bei der Wohnungspolitik, zumal die vielen Leerstände in landeseigenen Häusern bei steigender Wohnungsnot. Unruhen und Hausbesetzungen waren die Folge.
Zur Opposition zählte, neben der CDU, die Alternative Liste, eine damals noch halb maoistische, halb grüne Gruppierung. Sie war vor allem außerparlamentarischen Demonstrationen und gelegentlich auch Krawallen nicht abgeneigt. Im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses hatte jeder Fraktionschef auf seinem Pult ein Telefon. Ich besinne mich auf mehr als eine Situation, bei der die Führung der AL sich ihrer Doppelstrategie bediente: einerseits innerparlamentarischer Wortkampf gegen alle anderen Parteien, andererseits von jenem Pult aus telefonische Steuerung des außerparlamentarischen Drucks auf die Abgeordneten durch Straßenaufmärsche bis vor die Tore des Schöneberger Rathauses.
Zwischen CDU und AL gab es also wenig bis nichts Gemeinsames, außer einem: zusammen drängten wir auf vorzeitige Neuwahlen. Dafür bot uns die Berliner Landesverfassung ein kompliziertes und dennoch wirkungsvolles Instrument. Wenn ein Fünftel der Wahlberechtigten einem Volksbegehren für Neuwahlen vor Ablauf der Legislaturperiode zustimmt, muß ein Volksentscheid stattfinden. Sofern sich daran mindestens die Hälfte aller Wahlberechtigten beteiligt und mehrheitlich für Auflösung des Abgeordnetenhauses stimmt, müssen alsbald Neuwahlen stattfinden.
So etwas hatte es in der Praxis noch nie gegeben. Aber nun ging die Berliner CDU diesen Weg unter meiner Führung voran, wenn auch gegen den entrüsteten Protest der SPD. Erfolg hatte die regierende Koalition damit nicht, denn wir machten ja nur praktischen Gebrauch von dem Volksbegehren als einer verfassungsrechtlich zulässigen, wenn auch alle bisherigen Übungen
sprengenden Bürgerinitiative. Alsbald schloß sich uns die Alternative Liste an.
Rasch wurde klar, daß der erste Schritt, also das Einwerben von Unterschriften für einen Volksentscheid, erfolgreich sein würde. Der Appell an die Bürger, nicht immer alles nur den Parteien zu überlassen, sich nicht als ein im Parteiartikel 20 des Bonner Grundgesetzes begrabenes Nullum wiederzufinden, sondern selbst einzugreifen, fand ein großes Echo.
Noch einmal bäumte Stobbe sich auf und trat am 15. Januar 1981 mit neuen renommierten Namen für seinen Senat vor das Abgeordnetenhaus. Aber alle von ihm vorgeschlagenen SPD-Kandidaten verfehlten in der Parlamentswahl die vorgeschriebene Mehrheit. Stobbe, von Teilen seiner eigenen Fraktion hintergangen, trat am selben Tag zurück.
Von allen Seiten hagelten die kritischen Hiebe. Peter Glotz, kurz zuvor zum Bundesgeschäftsführer der SPD ernannt und dadurch gerade noch rechtzeitig dem nun gekenterten Senatsschiff entronnen, erklärte nur lapidar: »Die rituelle Opferung einiger Leithammel genügt nicht.« Wie sollte es also weitergehen? Aber da wallte der Bundes-SPD nun doch ihr Blut. Schon am nächsten Tag wurde Hans-Jochen Vogel auf die Nachfolge angesprochen. Und nur acht Tage nach dem Sturz von Stobbe wurde Vogel mit einer eindrucksvollen neuen Senatsriege zum Regierenden Bürgermeister gewählt. Auf Anhieb bekam er mehr Stimmen, als seine Koalition im Hause besaß. Die SPD hatte »ihr« Berlin noch einmal für sich gerettet.
Mit seiner großen Autorität und der ihm eigenen, unnachahmlichen Energie ging Vogel an die Arbeit. In kurzer Zeit gewann er für seine Partei einen erheblichen Teil der Stimmung zurück, den sie gerade eingebüßt hatte. Um die Gunst dieses Trends zu nutzen, wartete er nicht ab, bis wir zur zweiten Stufe unserer Neuwahlrakete, dem Volksentscheid, vorstoßen konnten. Er nahm uns die Initiative aus der Hand und sorgte seinerseits für die Anberaumung eines frühzeitigen Neuwahltermins,
nämlich für den 10. Mai 1981, nur dreieinhalb Monate nach seiner Amtsübernahme.
So ging es also weiter mit den Wahlkämpfen,
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