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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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Partei begonnen hatte, gegen ihn zu rebellieren.

    Mit Franz Josef Strauß hatte ich mehr als einen Konflikt. Aber mich beeindruckten doch immer wieder sein weiter Horizont, sein scharfer Verstand, sein Mut und nicht selten auch sein Charme.
    Mein Verhältnis zu Strauß verbesserte sich nachhaltig, als ich nach Berlin kam und er seine eigene konstruktive Ost- und Deutschlandpolitik begann. Er konnte eine bezwingende Liebenswürdigkeit entfalten. Es war ein Genuß, seine allgemeinen Ansichten näher kennenzulernen. Im bekannten Fragebogen von Marcel Proust nannte er unter anderen Old Shatterhand und den jungen Werther seine liebsten Romanhelden, die Nachtigall seinen Lieblingsvogel und die Gutmütigkeit seinen Hauptcharakterzug. Die Antwort auf die Frage, was er hätte sein mögen, lautete: Professor der Geschichte oder deutscher Reichskanzler 1932.
    Mit ihm zu sprechen war immer ein Gewinn und eine Prüfung zugleich. Im allgemeinen war er nicht nur durch sein scharfes
Gedächtnis, sondern auch aktenmäßig glänzend präpariert. Zweimal habe ich es erlebt, daß er während des Gesprächs ein ganzes Dossier unter der Tischplatte hervorzog, in dem alle meine jüngsten öffentlichen Äußerungen aufgezeichnet waren und die er nun zum Gegenstand eines kleinen Verhörs mit mir machte. Er ertrug klare Erwiderungen durchaus mit Freude und gab jedem Meinungsaustausch die weite Perspektive seines Geistes, die seiner kraftvollen unverwechselbaren Persönlichkeit zugrunde lagen. Seine historischen Einsichten und sein weltweiter Horizont haben dem Freistaat Bayern rund um den Globus zu neuem, bleibendem Ansehen verholfen.

Nach Berlin
    Im Frühherbst 1978 überraschte mich Kohl mit dem Angebot, bei den Berliner Wahlen 1979 als Spitzenkandidat der Union für das Amt des Regierenden Bürgermeisters anzutreten. Er hatte sich die Sache gut ausgedacht. Eine überlange Zeit in der Opposition hatte die Berliner CDU nachhaltig geschwächt. Zwar hatte ihr seit zwölf Jahren amtierender Vorsitzender Peter Lorenz bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus vergleichsweise gut abgeschnitten. Mit seinem Anstand und seiner Uneigennützigkeit hatte er eine Atmosphäre des Vertrauens und der Humanität geschaffen. Nie hatte er die Schultern anderer gesucht, um Lasten oder Vorwürfe abzuwälzen, deren es viele gab. Im Dienste seiner Aufgabe hatte er gegenüber dem gnadenlosen RAF-Terrorismus das Äußerste eingesetzt: sein Leben. Als Helmut Kohl bei ihm anregte, frische Kräfte aus Bonn für den schweren nächsten Berliner Wahlgang aufzunehmen, war er dazu sofort bereit.
    Ich war damals stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Union. Der Vorschlag an mich, nach Berlin zu
gehen, entsprach einer allgemeinen Strategie der CDU seit ihrer Wahlniederlage 1969. Ihr Ziel war es, auf dem Weg über neue Erfolge in den Bundesländern eine Rückkehr an die Spitze der Bundespolitik vorzubereiten. Gerhard Stoltenberg war nach Schleswig-Holstein gegangen und amtierte dort als Ministerpräsident. Ernst Albrecht hatte dasselbe Amt in Niedersachsen übernommen. Walter Wallmann, auch er einer der maßgeblichen Köpfe in der Bundestagsfraktion, kandidierte mit Erfolg für die Aufgabe des Stadtoberhauptes in Frankfurt am Main. Walther L. Kiep übernahm die Führung der Partei in Hamburg. Warum sollte ausgerechnet Berlin ausgeklammert bleiben, also die Stadt, in der die Sozialdemokratie seit Jahrzehnten ohne ernsthafte Gefährdung regierte?
    Kohl hatte zwei Gründe, eine entsprechende Aufgabe für Berlin ausgerechnet mir anzutragen. Der eine beruhte auf dem eindeutigen Schwerpunkt meiner bundespolitischen Arbeit im Parlament, nämlich der Ost- und Deutschlandpolitik. Für ihr Verständnis und zum Einfluß auf sie war Berlin der zentrale Standort. Den zweiten Grund nannte Kohl weniger deutlich beim Namen, auch mir gegenüber nicht. Aber er blieb dennoch niemandem verborgen. Es ging um die nächste, für 1979 anberaumte Wahl des Bundespräsidenten. Auch wenn Kohl schon 1969 meine Kandidatur für dieses Amt unterstützt hatte und ich fünf Jahre später schon einmal der Unionskandidat für die Villa Hammerschmidt gewesen war, so blieb es niemandem verborgen, am allerwenigsten mir selbst, daß Strauß und seine CSU für das Jahr 1979 in der Bundesversammlung, in der die Union über die absolute Mehrheit verfügte, durchaus nicht an mich als den geeigneten Unionskandidaten dachte. Strauß grollte mir damals noch wegen meiner entspannungsfreundlichen

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