Vierbeinige Freunde
über seinem Lenkrad, schielte ängstlich nach dem unruhigen Junglöwen und fuhr vorsichtig vom Hofe auf die Straße. Kinuli war zuerst von der ungewohnten Bewegung und dem Motorengeräusch erschreckt. Sie zerrte zum Fenster, zur Tür hin – sie wollte ausreißen. Nach und nach aber beruhigte sie sich und schaute zum Fenster hinaus. Auch der Fahrer beruhigte sich. Während des ganzen Weges fragte er mich über Kinulis Leben im Hause, über ihren Charakter und ihre Angewohnheiten aus. „Sie müßten ein Buch schreiben!“ rief er mir. Und als ich ihm sagte, daß ich schon fest dabei sei, interessierte er sich noch lebhafter für alles.
In unser Gespräch vertieft, waren wir ganz unbemerkt an der verabredeten Stelle in der Kropotkin-Straße angekommen. Von den anderen war noch niemand anwesend, und wir mußten noch etwas warten. Kinuli lag friedlich auf dem Rücksitz. Von außen war sie nicht zu sehen, und so wurden wir von niemandem belästigt. Ein Bürger kam heran und wollte die Taxe mieten, beim Anblick Kinulis aber entfernte er sich schleunigst, ohne sich auch nur einmal umzuschauen. Als dann die anderen anlangten, verließen wir den Wagen, und alles wurde für die Aufnahme fertiggemacht. Doch der Junglöwe zog hier, in der Nähe der U-Bahn, bald die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich, und binnen weniger Minuten waren wir von einer dichten Menge Neugieriger eingeschlossen. Kinulis Erscheinen auf der Straße erregte großes Aufsehen. Die Straßenbahnen hielten, die Schaffner und die Fahrgäste verließen die Wagen, von allen Seiten her kamen Kinder gelaufen.
Doch das war noch gar nichts im Vergleich zu dem, was uns auf der Petrowka noch bevorstand.
Kaum hielt unser Wagen, als uns die Menge auch schon umringte. Und als wir erst aus dem Wagen heraus waren! Nicht einmal die Miliz und die Hauswarte waren imstande, uns zu helfen. Im Augenblick waren die Straßen und die Bürgersteige unpassierbar. Fenster und Balkons waren von Menschen besetzt, Jungen kletterten an den Dachrinnen hoch und schrien: „Ein Löwe, ein Löwe!“
Der ganze Verkehr stockte. Autobusse, Taxen, Autos, alles stand still. Die Fahrer machten gar keinen Versuch weiterzufahren. Weiß der Himmel, woher auf einmal Zeitungsreporter und Amateurfotografen auf der Bildfläche erschienen. Die fremden Apparate schnappten, uns aber war jede Möglichkeit einer Aufnahme genommen. Viermal gaben wir uns den Anschein, als wollten wir wegfahren, viermal fuhren wir durch mehrere Querstraßen und kehrten wieder zu unserer verabredeten Stelle zurück – es blieb vergeblich. Mit unendlicher Mühe machten wir einige kleinere Aufnahmen in verschiedenen Straßen und fuhren dann wieder nach Hause.
Am folgenden Tage erschien eine Notiz in der Zeitung. „Dieser Tage konnte man auf der Petrowka ein interessantes Schauspiel beobachten – eine Filmaufnahme der jungen Löwin Kinuli“, hieß es darin. Dann folgte eine Beschreibung der Aufnahme. Und zum Schluß: „Die Filmaufnahme Kinulis erweckte bei den Passanten lebhafte Teilnahme. Dem Auto, das Kinuli wieder entführte, folgten Fahrräder, Motorräder und Autos bis an das Haus der Mitarbeiterin des Zoologischen Gartens W. Tschaplina, bei der Kinuli vom Tage ihrer Geburt an aufgezogen wird.“
Kinuli wurde noch einmal bei unserem Haus gefilmt, doch auch hier ging es nicht ohne Störungen ab.
Kaum waren wir auf die Sonnenseite hinübergegangen, als uns auch schon eine Menschenmenge umringte. Die Elektrische bremste und hielt, eine zweite bimmelte verzweifelt hinter ihr. Doch der Fahrer der ersten nahm keinerlei Notiz davon. Ein Milizmann kam, beim Anblick Kinulis aber blieb er selber stehen. Wir waren gezwungen, in einen Hauseingang zu flüchten und dort zu warten, bis sich die Menge verlaufen hatte. Erst dann gelang es dem Kameramann, einige Aufnahmen zu machen.
Feiertage
Zu den Oktoberfeiern war Kinulis Film bereits fertiggestellt. Zur Vorführung war unsere ganze Familie eingeladen, auch Kinuli und Peri. Da Kinuli inzwischen schon öfters Auto gefahren war, stieg sie ohne weiteres von selber in den Wagen, der uns zur Vorführung bringen sollte. Sie machte es sich auf dem Rücksitz bequem und blickte würdevoll um sich. Der Fahrer ließ den Wagen dahinbrausen und hatte sich für alle Fälle einen Schal um den Hals gewickelt: Der Fahrgast war gar so unheimlich, er konnte einen ja zerreißen!
Wir kamen an und betraten den Saal. Das Publikum sprang von den Sitzen hoch: „Der Löwe ist da! Der Löwe ist da!“
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