Viereinhalb Wochen
gewusst hatte, was der andere schreiben wird.
Wow, dachte ich, kann es so viel Übereinstimmung überhaupt geben zwischen zwei Menschen?
An unserem Hochzeitstag hatten wir am Morgen einen Termin bei der Gynäkologin, was für uns beide das schönste aller denkbaren Geschenke war – das Herz unseres Babys schlagen zu sehen! Ich platzte fast vor Stolz, als wir in ihrer Praxis zusammen aufgerufen wurden.
»Familie Bohg!«
Endlich schwanger, endlich Familie! Nie werde ich diesen Stolz vergessen, dieses Gefühl, etwas Eigenes begonnen zu haben, einen neuen, eigenen kleinen Kreis gezogen zu haben in dieser unübersichtlichen Welt. Mir kam dieser Satz so liebevoll gesagt vor, so wohlklingend wie nichts anderes auf Erden.
»Familie Bohg bitte!«
Fast hätten wir vergessen, dass wir nicht nur diesem Satz lauschen, sondern auch aufstehen mussten und in das Behandlungszimmer gehen. Mein Mann begleitete mich zu jedem Termin, schließlich hatten wir den Luxus, Zeit zu haben – Tibor zwischen seinen Vorstellungsgesprächen, ich zwischen der Organisationsarbeit um Wohnungssuche und Ankunft in Deutschland. Viel Zeit füreinander, von der wir in den letzten Jahren definitiv zu wenig gehabt hatten, in all dem Stress mit unseren Jobs.
Meine Gynäkologin war nach der Routine-Untersuchung rundum zufrieden mit mir. Sechs Zentimeter groß war unsere Erdbeere nach der Ultraschall-Diagnose, von der sie uns ein wunderschönes Bild mitgab. Schon beim ersten Gespräch mit der Ärztin hatten wir lachend festgestellt, dass der 11 . Mai nicht nur unser Hochzeitstag war, sondern auch der der Gynäkologin – und dass ihre Tochter Constanze hieß. Nun überraschten wir die Ärztin mit Pralinen und einem Blumenstrauß. Die reagierte prompt – und zauberte unverzüglich eine Glückwunschkarte aus ihrem Schreibtisch hervor, die sie vor unseren Augen mit einer Widmung versah und uns freudestrahlend überreichte. Schon wieder ein herrliches Zusammenspiel, wieder ein goldener Moment – in diesen Tagen schien es mir, als würden sich die bis jetzt bunt gemischten Puzzlestücke meines Lebens zu einem leuchtenden Bild zusammenfügen. Als könnten wir beide die Welt aus den Angeln heben – wir beide, die wir schon zu dritt waren.
Schon beim vorherigen Termin in der gynäkologischen Praxis hatte mir die Ärztin einen Überweisungsschein für die Pränataldiagnostik geschrieben. Daran musste ich mitten in meinem Glücksrausch denken. War das wegen meines Bruders und seines Down-Syndroms?
»Das ist nur Routine«, sagte sie mir, »ich schicke alle meine schwangeren Patientinnen dorthin.«
Ich atmete auf, so tief ich konnte. Alles ist gut, dachte ich, alles wird gut, natürlich. Keine Panik. »Alle Werte und Labortests sind tiptop. Danke, lieber Himmlischer Vater«, schrieb ich in mein rosarot geblümtes »Mami-Album«, in dem ich Tagebuch über meine Schwangerschaft führen wollte. Nur der kleine dunkle Fleck in meinem Hinterkopf ließ sich nicht wegwischen:
Pränataldiagnostik.
Wenn da was herauskommt. Ein kleiner dunkler Fleck, den ich immer wieder wegzuschieben versuchte. Ich bin gesund, dachte ich, ich ernähre mich gesund, ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich nehme keine Tabletten. Was soll mir passieren? Was meinem Kind? Gedanken, für die keine Rubrik vorgesehen war in den bunten Vordruckseiten meines rosaroten Büchleins.
Wie im Rausch verließen wir die Praxis, mit dem Foto unserer Erdbeere in der Tasche. Wir gingen nicht nach Hause, sondern in den nächsten Copy-Shop, um das Bild mehrfach zu kopieren. Dann setzten wir uns in ein Café an der Schönhauser Allee, mitten in den Trubel der vielen jungen Menschen und Touristen und Müßiggänger, um unter der warmen Frühlingssonne zu brunchen, ich zum allerersten Mal ganz ohne Übelkeit! Zu dem Foto schrieben wir die Briefe, auf die wir uns schon so lange gefreut hatten. Zuerst an die Familien:
Lieber Opa/Liebe Oma/Liebe Tante Sybille/Lieber Onkel Lars … Ich bin jetzt sechs cm groß. Ich heiße Erdbeere. Ich habe meiner Mama die ersten drei Monate zugesetzt, aber jetzt geht es ihr schon besser. Ich werde voraussichtlich am 18.11 . das Licht der Welt erblicken. Ich freue mich schon, euch kennenzulernen …
Natürlich bereiteten wir auch eine englische Version für unsere amerikanischen Freunde vor:
Dear friends,
it is official! Tibor and I will be three under the tree this Christmas. We’re in week thirteen, the beautiful baby is growing and everything is well. I’ve had a
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