Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
Umdrehung werfe ich dieses verdammte Miststück
nach bester Hammerwerfermanier in die Büsche!!!
Das beruhigt mich etwas.
Plötzlich fällt mir ein, daß in Puente
la Reina in Spanien ein großes schweres Kruzifix gezeigt wird, das nach der
Legende von einem rheinischen Pilger aus Köln auf dem Rücken dahin getragen
wurde. Mit dem verglichen ist mein Gepäck leicht wie ein Handtäschchen. Der
hätte bestimmt nicht den Bus genommen.
Ich hole den Rucksack aus dem Gestrüpp,
trinke nachdenklich einige Züge aus der Trinkflasche, und siehe da: Es hört auf
zu regnen. Nicht, daß ich jetzt Freudensprünge mache, aber ich kann den
Regenponcho ausziehen.
Die andere Flußseite, die Sonnenseite,
wenn die Sonne hier je scheinen sollte, sieht eigenartig aus. Der Berghang ist
in der Fallinie durch Hecken und Obstbaumreihen in Streifen aufgeteilt wie die
Flanke eines Zebras. Zwischen dieser Streifen befinden sich manchmal
terrassierte Wiesen voller Gestrüpp, die alten aufgelassenen Weinberge.
In Rothenburg ob der Tauber bin ich
schon oft gewesen, allerdings noch nie zu Fuß. So habe ich noch nie gemerkt,
daß die Stadt furchterregend hoch liegt. Aber auch die letzte Steigung ist
bewältigt, und ein Zimmer finde ich auch. Das Haus ist etwas altehrwürdig, seit
über hundert Jahren in Familienbesitz. Die Duschkabine steht frei neben meinem
Bett wie eine Telefonzelle.
Später ruft mich Manfred an und sagt,
daß ich mich gut anhören würde, sicher geht es mir ganz gut. Hoffentlich hat er
recht. Vielleicht merke ich nicht, daß es mir gut geht.
Mittwoch, am 5. März
In Rothenburg ob der Tauber
So gut und so fest habe ich geschlafen, daß ich fast mein Frühstück verpaßt hätte.
Es ist schon richtig gewesen, hier diesen Ruhetag zu nehmen.
Ich fühle mich heute müde und
zerbrechlich: Hier ziept es, da drückt es; schlimm, schlimm. Ich vermute
allerdings, wenn heute wie in den vergangenen Tagen auch Laufen auf dem
Programm stehen würde, wäre ich schon wieder unterwegs, ohne von all den
Beschwerden Kenntnis genommen zu haben.
Die Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt
habe ich schon bei meinen früheren Besuchen gesehen, aber solche wunderbaren
Kunstschätze kann man immer wieder mit großem Genuß betrachten.
Aus aktuellem Anlaß führt mein erster
Weg in die St.-Jakobs-Kirche. Der Raum ist fast leer. Ich setze mich hin und
versuche, eine besinnliche spirituelle Stimmung aufkommen zu lassen, aber es
will mir nicht gelingen. So schaue ich die Kunstwerke an. Da ist als erstes der
gotische Hochaltar mit dem schönen Kreuz, von vier Engeln getragen. Unter dem
Kreuz stehen Heiligenfiguren, auch der Schutzpatron Jakobus ist dabei. Die
Altarflügel mit der gotischen Bemalung zeigen an der Vorderseite Szenen aus der
Vita Mariä. Die Rückseite ist für Jakobspilger wesentlich interessanter: Dort
ist in einer Bilderreihe das Jakob’sche Hühnerwunder nacherzählt.
Berühmt sind auch die Glasfenster aus
dem 14. Jahrhundert, das gotische Chorgestühl, aber die Hauptsehenswürdigkeit
ist der Heilig-Blut-Altar von Tilman Riemenschneider, ein wahres Meisterwerk.
Riemenschneider ist neben Veit Stoß der größte gotische Bildhauer mit eigener
Handschrift, mit unnachahmlicher Feinheit der Gesichtszüge und der
Kleiderfalten, der Hände und Haltung der Figuren. Großartig auch die
spannungsgeladene szenische Komposition der dargestellten Situationen.
Dann schlendere ich durch die schmalen
Nebengassen, um mich schließlich im dem Spitalenviertel im Nieselregen auf eine
einsame Bank zu setzen und zu hören, wie die Vögel im Geäst der riesigen alten
Bäume, die vor der Zehntscheune stehen, trotz Regen den Frühling besingen. Ich
fühle mich seltsam entspannt und ausgesprochen wohl.
In dieser Jahreszeit sind die Straßen
von Rothenburg fast leer, nur einige japanische Touristen laufen mit ihren
Fotoapparaten, mit denen sie aber auch alles ablichten, was sich ablichten
läßt, motivsuchend herum. Im Bereich des Marktplatzes sind noch einige
Schülergruppen zu sehen, von kunstfreudigen Lehrern hierher geschleppt. Die
Jungen mit den Baseballmützen sind von dem alten Zeug sichtlich angeödet. Wie
froh bin ich darüber, sie nicht als Lehrer „motivieren“ zu müssen!
Den Nachmittag verbringe ich schlafend
im Bett, und als ich am Abend erst spät wach werde, stehe ich nicht mehr auf,
sondern schlafe weiter.
Donnerstag, am 6. März
Von Rothenburg o. d. Tauber nach Kirchberg an der J agst
Ich verlasse die Stadt durch
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