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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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gar nicht fassen! Bin ich wach, oder ist es ein schlechter Traum? Gibt es
noch ein Erwachen?
    Wie ein aufgezogenes Blechspielzeug,
ohne Sinn und Verstand, mache ich mechanisch meine Schritte und bevor ich den
Weg überhaupt wahrnehme, bin ich in Samos angekommen.
    Es ist noch früh am Vormittag, die
Straße ist leer, von Feststimmung keine Spur.
    Der kleine Ort ist von der riesigen
barocken Klosteranlage beherrscht. Außer diesem weitläufigen Gebäudekomplex
sind nur vielleicht fünfzig Häuser zu sehen, die sich alle um das Kloster
plazieren.
    Ich habe Glück: Die Herberge ist offen.
Sie befindet sich in dem rückwärtigen Flügel der Abtei. Ein Mann steht in der
Türöffnung. Ich begrüße ihn freundlich und sage meinen Vers auf, daß ich zu Fuß
aus Deutschland komme und Einlaß begehre. Gut, sagt er in fließendem Deutsch,
ich könne um halb fünf wiederkommen, dann sei die Herberge geöffnet. Ob ich
meinen Rucksack solange hier deponieren könnte, frage ich. Nein, das ist nicht
möglich.
    Ich starte noch einen letzten Versuch,
um mit diesem Menschen überhaupt ins Gespräch zu kommen: Ob er wüßte, wann die
Messe heute anfangt. Das stehe auf der Kirchentür angeschlagen, antwortet er
und schließt die Tür vor mir.
    Um 13 Uhr ist die Kirche mit festlich
gekleideten Spaniern gefüllt. So weit ich es übersehen kann, bin ich der
einzige Pilger. Ein uniformiertes Blasorchester nimmt in dem linken Querschiff
Aufstellung: Es kann losgehen.
    Der feierliche Einzug der Priester
weckt bei mir Erinnerungen an die Zeit meiner Kindheit, in der man noch keine
Hemmungen gehabt hat, die Messe übertrieben sinnlich zu gestalten. Zu
Jubelklängen der Orgel betreten die Geistlichen den Raum. Voran ein junger
Mann, Weihrauchgefäß schwenkend, gefolgt von einem anderen, der ein Kreuz
trägt. Hinter ihnen kommen die Mönche in ihren weißen und die Laienbrüder in
ihren schwarzen Kutten.
    Im Kloster Samos wird, wie in manchen
anderen spanischen Klöstern auch, der Gregorianische Gesang gepflegt. So wird
die Messe im Wechselgesang der Mönche zelebriert, die heilige Handlung wird
allein von den Geweihten vollzogen. Diese Art der Messe entspricht der von mir
schon beschriebenen traditionellen Liturgie, die mich mehr anspricht als der
heutige moderne, von den Gemeindemitgliedern mitgestaltete Gottesdienst. Die
Priester gelten für mich als Kenner von mystischen Geheimnissen, die ich nicht
zu verstehen vermag. Ich habe mich noch nie fähig gefühlt, als Besucher einer
Messe das Wunder mitzugestalten. Mir genügt es, glücklicher Zeuge des
Geschehens zu sein.
    Am Ende der Messe bricht die
Versammlung zu einer Prozession auf, die innerhalb des Klostergebäudes
durchgeführt wird. Vorne marschieren die Bläser, dahinter die Geistlichkeit,
dann die Honoratioren und schließlich das Volk. Und als allerletzter: Ich, mit
meinem Rucksack.
    Fast eine Stunde später als er gesagt
hatte, macht der Herbergsvater die Tür auf. Als ich in der langen Warteschlange
endlich dran bin, lege ich meinen langen Pilgerpaß vor. Er blättert darin hin
und her, um dann die Frage zu stellen:
    „Wo kommen Sie her?“
    „Aus Deutschland.“
    „Sicher, das sehe ich. Aber wo kommen
Sie her hier, in Spanien?“ „Ich habe gestern in Triacastela geschlafen. Von
dort bin ich hierher gekommen.“
    „Sind Sie also erst heute in
Triacastela gestartet?“ fragt er und blättert weiter in meinem dicken
Pilgerpaß, aus dem anhand der Eintragungen jeder schriftkundige Mensch ersehen
kann, wann und wo ich in den letzten fünf Monaten gewesen und gelaufen bin.
    „Nein“, sage ich, „ich bin nicht
gestern gestartet, sondern am 16. Februar in Deutschland.“
    Er ist sichtlich erschüttert von so
viel Dummheit und wird langsam ungeduldig:
    „Noch einmal: Wo sind Sie hier, in
Spanien, losgelaufen?“
    Auch ich werde langsam nervös:
    „Ich bin in Spanien überhaupt nicht
losgelaufen!“
    „Ja wieso sind Sie dann hier!?“
    Ich denke, einer von uns beiden muß
völlig bescheuert sein.
    „Ich weiß nicht, was Sie von mir wissen
wollen“, sage ich.
    Jetzt schreit er fast: „Sie haben
irgendwo spanischen Boden betreten. Ich will wissen, wo das geschehen ist!“
    „Ach so! Am Cisapaß.“
    „Das ist doch kein Ort!“ belehrt er
mich und schreibt: „Roncavalos“. Jetzt weiß ich es genau: Ich bin es nicht, der
bescheuert ist!
    Aber damit ist unser Disput noch nicht
zu Ende. Er teilt nämlich jedem einzelnen Pilger persönlich ein Bett zu. Ein
System in dieser

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