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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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allergisch
auf Gräserpollen, sie hustet sich die Seele aus dem Leib.
    Der abenteuerliche Höhepunkt des Weges
ist ein vierhundert Meter langer Tunnel, der auch noch in einer Kurve liegt.
Glücklicherweise haben wir Taschenlampen dabei; ohne sie würden wir uns nach
kaum fünfzig Metern in völliger Dunkelheit vorantasten müssen. An dem anderen
Tunnelende wird es doch noch schwierig: Ein Erdrutsch hat den Ausgang fast
vollständig verschüttet, nur eine kleine Öffnung unterhalb des Bogenscheitels
ist noch frei. Wir übersteigen den Erdkegel und stehen vor einem kleinen Teich.
Der Erdrutsch hat den Entwässerungsabfluß des Bergeinschnittes, der an den
Tunnel anschließt, versperrt. Uns bleibt nur die Möglichkeit, durch das
Gestrüpp aus dem Graben hinaus zu klettern. Oben, am Rand eines Weinfeldes,
können wir unseren Weg fortsetzen.
    Die Herberge in Eauze befindet sich auf
dem zentralen Place d’Armagnac in der engen Altstadt. Der Platz mit der
gotischen Stadtkirche und die angrenzenden Straßen sind von aufwendig
gestalteten alten Häusern früherer reicher Weinhändler gesäumt. Wenn ich aus
dem Fenster schaue, erblicke ich das besonders schöne Maison Jeanne d’Albet,
ein Fachwerkbau aus dem 15. Jahrhundert; die Holzbalken sind mit reichem
Schnitzwerk verziert.
    Weniger erfreulich ist der Blick auf
die Plakate, die verkünden:
     
    „ DISCO-NIGHT!!!
    Samedi, le 31 mai 1997. place
d’Armagnac
    Toute la nuit!!!
    avec D.J. SUPERSTAR!!!“
     
    Das ist heute Nacht! Und damit wir von
der Ernsthaftigkeit des Vorhabens überzeugt werden, sind einige junge Männer
dabei, genau vor unserm Fenster baumhohe Lautsprechertürme aufzustellen.
Nachdem ich die tägliche Routine mit Waschen und Abendessen erledigt habe,
schaue ich mich in der Stadt um, wo an diesem Wochenende ein Stadtfest
veranstaltet wird. Die plakatierte Disco-Nacht ist ein Teil der Festlichkeiten.
Am Rand der Altstadt sind einige Schießbuden und Kinderkarussells aufgestellt,
viel Volk, viele Kinder, das gewöhnliche Kirmestreiben.
    Ich rufe zu Hause an; mein Schwiegervater
hat sich nach der Operation gut erholt, er ist auf dem Weg der Besserung.
    Während ich telefoniere, schwindet das
Tageslicht. Pechschwarze Wolken, die vor drei Minuten noch nicht zu sehen
waren, türmen sich bedrohlich am dunklen Himmel. Bevor ich die Telefonzelle
verlassen kann, bricht, wie ein Erdbeben, das heftigste Gewitter los, an das
ich mich erinnern kann. Ein Meer von Wasser, begleitet von pausenlos zuckenden
Blitzen, stürzt auf die Stadt. Der helle Knall der nahen Donnerschläge schmerzt
in meinen Ohren. Innerhalb von Minuten bilden sich tiefe Pfützen: Die Gullys
können die Unmenge des Regenwassers nicht schlucken. Kurz danach sind die
ersten Feuerwehrund Sanitätsfahrzeuge unterwegs. Irgendwo muß es brennen:
Sirenen heulen, eine Glocke wird sturmgeläutet.
    Es dauert über eine halbe Stunde, bis
das Donnern weiterzieht und der Wind nachläßt. Auch der Regen normalisiert
sich: Jetzt ist es ein gewöhnlicher Wolkenbruch. Ich bedaure die Markttreiber:
Das Geschäft ist heute ins Wasser gefallen.
    Auf den dreihundert Metern, die ich zur
Herberge zurücklaufen muß, werde ich so naß, als ob ich ein zweites Mal
geduscht hätte. Ich ziehe mich um, trinke einen heißen Tee und dann kann ich
mich über den Dauerregen sogar freuen: Auch die „Disconacht“ wird wohl in
diesen Wassermassen ertränkt. Nachdem wir den Tag mit einem Fläschchen guten
Armagnac beschlossen haben, gehen wir zufrieden schlafen.
    Was ist das!? Ist eine Bombe ins Zimmer
eingeschlagen? Ist der Kirchturm auf die Häuser gestürzt? Bumm, bumm, bumm,
bumm!!! Ich springe aus dem Bett und reiße die Fenster auf, was sich als Fehler
erweist: Die Schallwellen treffen mich auf der Brust wie ein scharf
geschossener Elfmeter den Torwart. Ich schaue auf meine Uhr: Der Zeiger steht
auf Elf. Die Disconacht hat begonnen!
    Wir stehen am Fenster und glauben,
einen schlechten Traum zu träumen. Es gießt nach wie vor. Der spärlich
beleuchtete verregnete Platz ist gespenstisch leer. Hinter dem Schaltpult, das
auf einem Lastwagen montiert ist, steht ein Jüngling, vermutlich der D.J.
Superstar, und schwätzt sich in Rage, ungeachtet dessen, daß kein Mensch da
ist, der ihm zuhören könnte. Die rasenden Technoklänge sind bestialisch laut,
und ich vermute, daß mit dieser Phonstärke die Jugend aus den weit entfernten
Dörfern herbeigerufen werden soll. Wir sitzen in der Falle. An Schlafen
brauchen wir überhaupt nicht

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