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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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geschmückt.
    Nach dem Hof Laguillon treffe ich meine
Pilgerkollegen wieder. André kocht wieder Kaffee. Ich esse eine mitgebrachte
reife Tomate und denke, so gut hat mir noch nie eine Tomate geschmeckt! Diesen
Geschmack zu erleben bleibt wohl dem müden Pilger reserviert.
    Mein derzeitiger „Pilgersekretär“ André
hat heute für uns eine besondere Unterkunft organisiert. Der Hof La Castéra liegt oberhalb der
Stadt Aire-sur-l’Adour und wird von einem älteren Ehepaar bewirtschaftet. Die
wirklichen Bewohner des Hauses sind aber die etwa fünfundzwanzig Katzen, die
allgegenwärtig den Hof bevölkern. Die genaue Anzahl der Tiere ist auch den
alten Herrschaften nicht bekannt. Wohin ich mich auch wende, sitzen, laufen,
spielen und liegen Katzen, Katzen jeder Größe, Farbe und jeden Alters. Ich
werfe einen verstohlenen Blick auf die alte Dame: Vielleicht heißt sie Angeline
und hat womöglich Katzenohren?
    Sie kocht, auch für uns, ein
Abendessen, das wir mit dem Ehepaar gemeinsam in sehr familiärer Atmosphäre
einnehmen. Am Anfang wird eine gut gewürzte landesspezifische Suppe serviert,
eine Gemüsesuppe mit viel Kartoffeln, Lauch und Tomaten. Dann folgt ein
Entenbraten mit pommes frites, die im Entenschmalz fritiert wurden.
Schweinesteak mit Salat. Käse. Quark mit selbstgemachter Melonenmarmelade, mit
Zimt und Nelken gewürzt. Kaffee. Und was kaum zu glauben ist: ein 1988er
Madiran, ein wunderbarer Wein, den ich zu Hause nur meinen besten Freunden
vorsetzen würde.
     
     

Dienstag, am 3. Juni
Von Aire-sur-l’Adour nach Arzacq-Arraziguet
    Als wir uns
nach dem guten Frühstück von unseren Wirtsleuten verabschieden, ist der Himmel
grau. Es regnet. Aber André ist optimistisch. Eine alte französische
Bauernregel besagt doch:
     
    „ Petite pluie du matin
    N’arrête pas
le pèlerin.“
     
    Zu deutsch: „Ein kleiner Morgenregen
hält den Pilger nicht zurück“ und soll so verstanden werden, daß, wenn es am
Morgen ein wenig regnet, der Tag später schön wird. Diese Erfahrung habe auch
ich öfters gemacht, so auch jetzt: Kaum sind wir unterwegs, weichen die Wolken
und die wärmende Sonne läßt die Wege trocknen.
    Ich habe gestern abend den guten Wein
zu ausgiebig genossen. Heute fühle ich mich ausgesprochen schwach und müde. So
trenne ich mich bald von meinen Freunden; sie sind mir heute einfach zu
schnell. Es ist wieder sehr warm und die Landschaft recht hügelig, ich muß die
lange Strecke etwas langsamer angehen.
    Die kleine romanische Jakobs-Kirche von
Sensacq wurde im 11. Jahrhundert erbaut. Durch spätere Erweiterungen hat der
Bau einen stark gegliederten Baukörper bekommen. Der Innenraum mit dem offenen
Holzdach und mit den einfachen Stilformen läßt mich eine Zeitreise in die
früheren Jahrhunderte antreten, als hier die Christen noch durch Untertauchen
in einem großen Becken getauft wurden. Vorbei an einsamen Bauernhöfen komme ich
zu der kleinen Gemeinde Pimbo, an einem Hügel gelegen und von einer romanischen
Kirche gekrönt. Hier sollen zweihundert Seelen leben, aber in der flimmernden
Mittagshitze ist das Dorf wie ausgestorben. Auch die Kirche ist geschlossen.
Ich fülle meine Feldflasche, verarzte meine Fußblasen, die ich vor Tagen im
Regen bekam, und setze meinen Tagesmarsch fort. Wasser gibt es auch bei einem
Bauernhaus, kaum zwei Kilometer weiter, wo neben dem Eingangstor ein Wasserhahn
zu finden ist. An dem Schild darüber ist zu lesen:
     
    „Les Chemins
du Roy
    Compostelle
    924 Km eau
potable“
     
    Na also! Schon fast geschafft!
    In Arzacq-Arraziguet steht die Herberge
auf dem weiten dörflichen Hauptplatz. Die einfache Schlafgelegenheit wird durch
einen hinter dem Haus liegenden schönen Garten aufgewertet. Ich genieße die
Ruhe des sonnigen Nachmittags, die durch das Laub der alten Apfelbäume auf mich
herunter rieselt.
    Es gibt doch noch ehrliche Pilger! Mein
verlorenes Messer ist wieder aufgetaucht! Und das kam so:
    Der Herr Pfarrer in Aumont-Aubrac hat
das gute Stück damals einem holländischen Pilger mit der Bitte ausgehändigt, es
in Cahors in dem Geschäft meines Freundes abzugeben. Der junge Mann, ein
holländischer Urlaubspilger, kam ausgerechnet an einem Sonntag in Cahors an und
so konnte er das Messer nicht loswerden. Anschließend fuhr er nach Holland
zurück und nahm mein Messer mit. Wie ich am Telefon heute erfahre, hat er es
mit der Post nach Cahors zurückgeschickt.

Mittwoch, am 4. Juni
Von Arzacq-Arraziguet nach Arthez-de-Béarn
    Auch diesmalist der

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