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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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Abschied schwer. Der Urlaub meiner Pilgerfreunde geht zu Ende, sie
müssen sich beeilen. Ich will das mir genehme Tempo nicht steigern. So müssen
wir uns heute trennen.
    André führt mich in den Garten hinaus
und zeigt nach Südwesten, wohin wir laufen wollen. Nach dem nächtlichen
Regenschauer ist der Himmel bedeckt, aber die Luft ist klar und die Sicht ist
ungewöhnlich gut. Hinter einem breiten ebenen Landstrich erheben sich in der
Ferne die hohen Berge der Pyrenäen. Ein wunderbares Bild, ein wunderbares
Gefühl! Dahinter liegt Spanien! Bis dahin habe ich noch einige Tage zu laufen,
aber ich kann die Berge schon sehen!
    „Schau“, sagt André, als letzte
Verlockung, „alles flach, wie eine Tischplatte. Auf solchem Gelände sind
vierzig Kilometer, die wir heute laufen wollen, wie nichts. Komm mit uns!“ Ich
brauche aber nur einen Blick auf die Karte zu werfen: Das Terrain ist eben, wie
ein Wellblech eben ist. Zwar fehlen die großen Erhebungen, aber der Weg muß
unzählige quer verlaufende Bachtäler überwinden.
    Ich lasse André, als seine letzte
„Diensttätigkeit“, in Pomps telefonisch für mich eine Unterkunft bestellen.
Dort soll die Möglichkeit bestehen, in einer Sporthalle zu übernachten. Wir
umarmen uns und ich schaue ihnen traurig nach, wie sie die Herberge verlassen.
    Etwas später bin auch ich unterwegs. In
Louvigny kehre ich in die kleine Dorfkirche ein und zünde eine Kerze für die
Genesung meines Schwiegervaters an.
    Es will heute nicht warm werden; es
sieht sehr nach Regen aus.
    Die hügelige Landschaft ist dünn
besiedelt, die Dörfer sind klein, die Höfe einsam. Auf den weiten Feldern ist
Mais angebaut. Hier treffe ich ein mit mir etwa gleichaltriges holländisches
Pilgerpaar. Die beiden haben, ungerührt von dem inzwischen einsetzenden Regen,
es sich unter einem großen Eichenbaum bequem gemacht. Auch sie haben einen
Kocher mit und laden mich zum Kaffeetrinken ein. So sitzen wir im nassen Gras
auf einer Plastikplane, und obwohl es durch die Baumkrone schon durchregnet,
finde ich die Situation recht gemütlich. Das gibt es auch nur beim Pilgern!
    Bis Pomps laufen wir zusammen. Ich bin
am Ziel; sie wollen, trotz Regen, weiter nach Arthez-de-Béarn. Aus Spott
verspreche ich ihnen, beim Duschen, also in zehn Minuten, an sie zu denken.
    Die alte Frau, bei der André mir die
Unterkunft bestellte, ist schnell gefunden. Sie deutet auf die unweit an einer
Wiese liegende Sporthalle: Dort kann ich mir einen Platz suchen. Ich laufe hin
und traue meinen Augen nicht. Die Halle ist eine Ruine! Die Fenster sind
eingeschlagen, die Türen aus der Mauer gerissen und die Nebenräume, wo früher
wahrscheinlich die Schlafräume gewesen sind, sind leer und mit Brettern
zugenagelt. In dem großen Raum, in den es auch noch reinregnet, stapeln sich
der Bauschutt, Müll und Dreck. Ich denke, die gute Frau hat diese Halle seit
Jahren nicht mehr betreten, sonst könnte sie nicht glauben, daß hier jemand
übernachten kann.
    Ja, was nun? Lange brauche ich nicht zu
überlegen. Ich muß weiter. Bald hole ich meine Holländer ein. Der Blatt hat
sich gewendet, jetzt muß ich mich verspotten lassen. Danach laufen wir
gemeinsam nach Arthez-de-Béarn. Eine Herberge gibt es auch hier nicht. So laufe
ich zum Pfarramt, wo den Pilgern eine Notunterkunft zur Verfügung steht.
    Es ist nur ein kleiner Raum mit
Kochgelegenheit und kaltem Wasser. Eine Dusche gibt es nicht. Schlafen kann man
auf einem wackligen Militär-Feldbett, eine Stoffplane auf Holzgestell.
     
     

Donnerstag, am 5. Juni
Von Arthez-de-Béarn nach Sauvelade
    Eigentlich habeich
viel besser geschlafen, als dieses Ersatzbett es befurchten ließ. Nach einem ausgiebigen
Frühstück mache ich mich auf den Weg.
    Nachts hat es stark geregnet, aber der
Morgen ist trocken. Ich laufe seit Tagen nur an Maisfeldern vorbei. Wo sind die
vielen Tiere, die diese gigantische Menge von Mais fressen sollen?
    Ich überquere den Fluß Gave de Pau. Der
schon zitierte Pilgerführer, der Codex
Calixtinus, warnt vor diesem Übergang, der damals nur mit Booten
überquert werden konnte, wie folgt:
    „Die
Fährleute sind entschieden zu verdammen! ... Ihr Schiff ist nämlich klein, aus
einem einzigen Baum gefertigt, und kann Pferde kaum aufnehmen. ... Oftmals
lassen die Fährleute, nachdem die Pilger bezahlt haben, eine große Menge in das
Boot einsteigen, damit das Schiff kentert und die Pilger im Wasser ertrinken.
Dann freuen sie sich hämisch und bemächtigen sich der Habe der

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