Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
Vom Netzwerk:
nur zu verständlich. Sie sollten sich nur nicht von Ihrer Angst in Ihrem Handeln bestimmen lassen.“
    „Ja ähm … natürlich nicht. Also wie gesagt: Ich werde mir das morgen hundertprozentig ganz genau anschauen. Bitte geben Sie mir einen Tag Zeit.“
    „Würden Sie dann heute noch einmal in die Wohnung gehen?“
    Nein, eigentlich nicht. Am liebsten würde ich auflegen … aber da fallen mir die verdammten 1500 Euro ein. Und gleich darauf die Tatsache, dass ich mit einem Mann spreche, der nicht mehr lange zu leben hat und der Hoffnungen in mich setzt.
    „Ja, das mache ich. Ich rufe Sie dann wieder an.“
    „Danke Frau Pander. Dann bis später.“
    „Ähm einen Moment noch. Ich wollte Sie noch einmal fragen, wie es Ihnen geht. Ihre Tochter meinte vorhin, dass Sie noch im Bett liegen.“
    Strauss muss lachen. Es ist kein besonders kräftiges Lachen … aber immerhin lacht er.
    „Machen Sie sich keine Gedanken, ein paar Monate halte ich bestimmt noch durch.“
    Auf einmal spricht er flüsternd, geheimnistuerisch:
    „Wissen Sie, ich versuche gerade die Vorteile zu genießen, die sich aus meiner Lage ergeben: Spät aufstehen, sich bedienen lassen, die Alltagspflichten vernachlässigen. Wir Psychologen nennen das den sekundären Krankheitsgewinn.“
    „Aha“, sage ich.
    „Aber noch habe ich zu viele Hummeln im Hintern. Die sterben nur langsam ab, diese Hummeln. Ich schaffe es einfach nicht, im Bett zu bleiben und nichts zu tun. Es treibt mich hinaus zu meinen Büchern.“
    Wieder lacht Strauss … wieder ist sein Lachen nicht besonders kräftig. Auf einmal kommt mir seine Fröhlichkeit aufgesetzt vor. Auf einmal tut er mir furchtbar leid, dieser Mann.
    „Herr Strauss, ich forsche jetzt mal weiter und melde mich dann wieder.“
    „Sind Sie auch selbst ein bisschen neugierig? Sie haben gerade zum ersten Mal das Wort „forschen“ benutzt.“
    „Ja, ich bin neugierig. Bis nachher.“
    „bis nachher, Frau Pander. Vielen Dank! Es freut mich sehr, dass Sie Gefallen an der Sache finden!“
    Ich lege auf und gehe die Treppen hoch, hinauf in den vierten Stock.

Das Mädchen und die Hände
     
    Es ist etwas passiert, heute Nacht um drei. Der gestrige Tag verlief noch ohne Zwischenfälle. Ich verbrachte eine Stunde in der vom Zerfall gezeichneten Wohnung, die zwischen unserer und der von Frau Diehl liegt. Dann rief ich Strauss an, ohne dass ich ihm etwas Neues zu berichten hatte. Nach meinem Gespräch mit dem krebskranken Professor und einem späten Mittagessen fuhr ich zur Uni. Hätte ich mir auch sparen können, ich war so in Gedanken, dass ich fast nichts mitbekam.
    Danach das Übliche: Abendessen, Fernsehen, Paulas Gereiztheit. Keine Ahnung, warum sie die letzten Tage so schlecht drauf ist. Kurz nach elf gingen wir ins Bett.
    Schon den ganzen Vormittag denke ich über die Sache nach, bin mir aber immer noch nicht sicher, ob ich geträumt habe oder wach war. Vielleicht war ich auch irgendwo dazwischen, irgendwo zwischen Traum und Realität. Viele Menschen kennen diese Zustände, manche liegen minutenlang wach, ohne sich bewegen zu können, bei anderen vermischen sich Trauminhalte mit Sinneseindrücken.
    Wie gesagt: Um elf gehe ich zusammen mit Paula ins Bett, wir tauschen noch ein paar halbherzige Zärtlichkeiten aus, dann sagt sie, dass sie müde ist und schlafen will. Ich liege einige Zeit wach, höre Paulas Atmen und das Rauschen des Windes in den Bäumen. Es muss gegen zwölf Uhr sein, als ich einschlafe. Drei Stunden später bin ich wieder wach. Vielleicht schlafe ich auch noch und träume nur, wach zu sein. Ich weiß es nicht.
    Das erste, was ich sehe, sind sich bewegende Muster an der Zimmerdecke. Es sieht aus, als ob das Mondlicht durch ein Fenster scheint, an dem Regen hinunter rinnt. Der Mond scheint auch, allerdings regnet es nicht … ich schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne, da sind die sich windenden Muster verschwunden, im kaltblauen Licht hängt über mir die Zimmerdecke, eine glatte, völlig monotone Fläche, auf der sich überhaupt nichts bewegt.
    Plötzlich atmet Paula neben mir laut aus. Es klingt, als hätte jemand ein Ventil geöffnet, um Druck abzulassen. Ich stütze mich mit dem Unterarm ab und drehe mich zu ihr. Paula liegt auf dem Bauch, hat die Arme unter ihrem Kissen und den Kopf von mir weggedreht, ich kann ihr Gesicht nicht sehen, nur den Hinterkopf und ein kleines, blasses Ohr. Seltsamerweise habe ich das starke Gefühl, dass es genau in diesem Moment unheimlich wichtig

Weitere Kostenlose Bücher