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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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Bildschirm ihres Laptops hinweg. Was sie doch für wunderschöne Augen hat.
    „Ja, ich geh' heute Abend zu ihm.“
    „Danke Schatz.“
    Paula wirft mir eine Kusshand zu, dann senkt sie den Blick und tippt weiter … erst langsam, dann immer schneller. Einige Sekunden schaue ich sie noch an, dann komme ich mir schäbig vor und schleiche mit gesenktem Kopf ins Badezimmer.
     
    ***
     
    Paula ist seit einer Stunde aus dem Haus. Ich sitze am Küchentisch, beuge mich über eines meiner Anatomiebücher und versuche, meine Augen auf die Knochen und Sehnen, Muskelstränge und Organe zu zwingen. Ich muss endlich diese blöden lateinischen Namen auswendig können.
    Aber was ist das? Etwa drei Meter von mir entfernt sitzt noch jemand. Ein großer, schwarzer Vogel mit schimmerndem Gefieder. Ist das eine Krähe? Oder schon ein Rabe? Und was ist eigentlich der Unterschied, außer dass Raben größer sind? Das schwarz glänzende Tier sitzt auf dem Balkongeländer, hält den Kopf schräg und … ja, es sieht mich an, ganz eindeutig. Mir kommt es vor wie ein Hund, der um Futter bettelt.
    „Sorry Kumpel“, murmele ich und beuge mich wieder über die bunten Zeichnungen. Als ich einige Minuten später aufsehe, ist der große Vogel immer noch da. Immer noch sitzt er auf dem Balkongeländer, hat den Kopf zur Seite geneigt und sieht in meine Richtung. Als ich nicht reagiere, da neigt er den Kopf zur anderen Seite. Ich muss lachen und bin gleichzeitig fasziniert von dem Tier. Ganz eindeutig reagiert der Vogel auf mein Verhalten, ganz eindeutig will er etwas von mir. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass es sich um einen Raben handelt, Krähen sind kleiner. Als Teenager habe ich Krabat gelesen, vielleicht sitzt da ja ein Zauberlehrling auf meinem Balkongeländer.
    Ich stehe auf und gehe zum Kühlschrank. Was kann ich meinem geduldigen Besucher anbieten? Was fressen Raben? Ich zupfe eine Weinbeere ab und nehme eine Scheibe Salami aus der Plastikpackung. Als ich die Balkontür einen Spalt öffne, flattert der Rabe mit den Flügeln und läuft auf dem Balkongeländer etwa dreißig Zentimeter von mir weg.
    „Ganz ruhig, ich tu dir nichts … tu du mir bitte auch nichts.“
    Ich werfe Weinbeere und Salamischeibe auf den Balkon. Der Rabe streckt den Kopf vor und sieht aus, als würde er begutachten, was ich ihm da gebracht habe. Ganz vorsichtig schließe ich die Balkontür, setzte mich auf den Boden und warte auf das, was als nächstes passiert.
    Fast eine Minute dauert es, bis der Rabe vom Geländer herunterspringt. Er stupst mit dem Schnabel die hellgrüne Beere an, sie rollt etwas zwanzig Zentimeter auf dem rissigen Beton, bleibt knapp vor dem Abgrund liegen. Dann schnappt sich der Rabe die Salami … und mit der herunterhängenden Wurstscheibe im Schnabel fliegt er davon. Okay, ich habe verstanden, nächstes Mal nur Salami. Hättest dich zumindest bedanken können, Kumpel.
    Ich weiß nicht warum, aber die Begegnung mit diesem intelligenten Tier hat meinen Mut und meine Stimmung gehoben. Ich schnappe mir mein Handy und die Taschenlampe … und schon bin ich unterwegs Richtung Keller. Wohnungstür, Flur, anderer Flur, vorbei am Aufzug, Tür zum Treppenhaus, Treppe, Treppe, dritter Stock, Treppe, Treppe, zweiter Stock, Treppe, Treppe, erster Stock, Treppe, Treppe, Erdgeschoss, Treppe, Tre- … ich bleibe stehen und überlege. Will ich wirklich alleine da runter? Oder doch lieber schauen, ob das Mädchen und der dünne Typ gerade da sind? Ich gehe die eineinhalb Treppen hinauf ins Erdgeschoss, gehe vorbei an dem Innenhof mit den kaputten Pflanzen und schließe die mit Zeitungen verklebte Tür auf, hinter der der Gastraum liegt.
    „Hallo, ist jemand da?“
    Keine Antwort.
    „Ich bin es, Lena. Seid ihr da?“
    Langsam öffnet sich die Schwingtür. Es ist Kerstin.
    „Hi“, sage ich.
    „Hi.“
    Geräusche aus der Küche, ihr Typ ist auch da.
    Ähm … ich wollte euch fragen, ob ihr vielleicht irgendwas aus dem Keller braucht. Da liegt noch alles Mögliche rum. Vielleicht wollt ihr euch Matratzen holen … oder 'nen Fernseher. Das Zeug da unten braucht ja keiner mehr.“
    Kerstin wirkt eher misstrauisch als erfreut.
    „Eigentlich haben wir hier ja alles.“
    „Klar, ähm … ich dachte nur, vielleicht wollt ihr es euch ein bisschen gemütlicher machen … oder ihr findet was, das ihr verkaufen könnt.“
    Der dünne Typ erscheint in der Tür. Er sieht krank aus, blass und hohläugig.
    „Hi.“
    „Hi.“
    „Wir könnten vielleicht ein

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