Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
nimm halt irgendwelche scheiß Medikamente, wenn die Gespräche mit diesem Psychodoktor nichts bringen! Warst du überhaupt schon mal bei dem?“
Es ist kurz nach acht, wir sitzen beim Frühstück und Paula ist immer noch sauer auf mich. Noch nie habe ich jemanden ein Marmeladenbrot mit solch einer Aggressivität schmieren sehen, sie hat das Ding zerquetscht und zerrissen, nur noch Fetzen sind übrig.
Ich wäre heute Nacht schreiend auf sie losgegangen, sagt Paula. Ich hätte sie angegriffen, sagt Paula. Und ja, sie hat blutige Kratzer am Arm, die nur von mir stammen können. Auch auf der Matratze ist Blut.
„Ich hab' dich gerade gefragt, ob du in der Zwischenzeit mal bei diesem Psychiater warst.“
„Ich hab' mit dem telefoniert“, antworte ich.
„Scheiße Lena, ich hab' dich echt gebeten, dass du dir Hilfe holst. Als nächstes stehst du nachts auf, holst dir ein Messer und stichst mich ab. Das kann doch einfach nicht wahr sein.“
„Bitte Paula, ich hab' das doch nicht absichtlich gemacht, ich habe das doch überhaupt nicht gemerkt. Ich habe einen echt heftigen Alptraum gehabt und dann hat mich was gepackt und da hab' ich eben Angst gehabt und mich instinktiv gewehrt. Ich wusste doch nicht, dass du das warst. Und ich bin doch nicht auf dich losgegangen, ich hatte einfach nur Angst.“
Sie nimmt einen Schluck Kaffee, setzt die Tasse ab und schüttelt den Kopf.
„So kann das nicht weitergehen, Lena. Du bist total anders als früher. Ich hab' echt keine Lust mehr auf den Scheiß. Kann dir der Typ nicht was verschreiben?“
Sie schaut auf ihren blutig gekratzten Arm.
„Scheiße, das brennt. Jetzt krieg' ich am besten noch 'ne Infektion. Du warst vielleicht drauf heute Nacht, ich hab' dich noch nie so schreien hören. Ich dachte echt, du hast einen Anfall oder so. Das war noch heftiger als damals, als du gegen die Badewanne getreten hast.“
Paula sieht mich einige Sekunden an. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie steht auf und geht Richtung Bad.
„Bin gleich wieder da. Ich mach da mal was drauf.“
„Warte mal, lass mich das machen.“
Im Bad wasche ich ihren Arm, tupfe ihn mit einem sauberen Tuch ab und verbinde ihn. Ist natürlich alles völlig übertrieben, das hier sind nur ein paar Kratzer, keine Fleischwunden. Aber Paula ist zufrieden mit dem, was ich da mache. Als ich fertig bin da lächelt sie mich an und bedankt sich bei mir.
„Gern geschehen … tut mir leid, dass ich dich so gekratzt habe.“
„Was hast du eigentlich geträumt? Muss ja ziemlich heftig gewesen sein, dass du so ausgetickt bist.“
Wir gehen zurück ins Wohnzimmer und ich erzähle Paula meinen Traum … von dem ich nicht ganz sicher bin, ob er wirklich nur ein Traum war. Das mit dem raushängenden Auge lasse ich weg.
„Oh Scheiße, echt gruselig. Kleine Kinder sind sowieso gruselig.“
„Findest du?“
„Ja, irgendwie schon. Tut mir leid, dass ich dich vorhin so angemacht habe.“
„Schon okay. Wie fühlt sich dein Arm an?“
„Eigentlich ganz normal. Gehst du heute oder morgen mal zu dem Psychiater?“
„Ja, mach ich … versprochen.“
Paula gibt mir einen Kuss und schlurft zu ihrem Laptop. Ich sehe ihr nach und spüre das schlechte Gewissen in mir aufsteigen. Ich will sie nicht belügen. Aber ich kann ihr auch nicht einfach sagen, dass der Psychiater, zu dem ich gehen werde, wie ich an Gespenster glaubt, dass er uns höchstpersönlich in diese Wohnung manövriert hat und nun darauf hofft, dass ich etwas herausfinde über diese Gespenster … oder wie auch immer man das nennen soll. Ich schnappe mir mein Handy, gehe hinaus auf den Balkon, betrachte die Risse in der Betonplatte (sind die mehr geworden? Bricht das Ding demnächst runter?) und rufe Strauss an. Diesmal wird ihm das Telefon nicht ans Bett gebracht.
„Hallo, Frau Pander. Wie geht es Ihnen? Gibt es was Neues?“
„Ja, irgendwie schon. Ich hatte eine ziemlich heftige Nacht. Könnte ich später bei Ihnen vorbeikommen?“
„Ja, natürlich.“
Wir verabreden uns für 18 Uhr. Strauss gibt mir seine Adresse und bittet mich ein weiteres Mal, mir den Keller anzusehen. Ja, Herr Strauss. Ja, versprochen. Dann alles weitere heute Abend … falls ich nicht auf Nimmerwiedersehen irgendwo in diesem scheiß Kellerlabyrinth verschwinde. Das letzte denke ich mir nur.
„Hast du mit dem Psychiater telefoniert?“, fragt mich Paula, als ich die quietschende Balkontür hinter mir schließe. Ich sehe nur ihren halben Kopf, sie schaut über den
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