Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
Utragenorius, zu kurieren. Oder die medizinischen Gurus auf Atibon Legba um Rat zu fragen.
Anna stand mit einem heftigen Schwung auf und ging, nackt wie sie war, vor das Bullauge, das behelfsmäßig in die Wand eingelassen war. Draußen stürzte das Wasser dicht wie ein Vorhang herab. Im einfallenden Dämmerlicht betrachtete Mechin die Frau von der Seite. Sie muss hübsch gewesen sein, dachte er, dunkelhaarig, mit einer Haut von der Farbe heller Schokolade, mit vollen Lippen und diesen schwarzen Augen. Eine ausgesprochen hübsche Vertreterin der typischen Brasiliano-Bevölkerung im Süden von Penta V, dachte Mechin, es ist allerdings von der Schönheit kaum was übrig.
»Wie geht es also weiter?«, fragte sie und wandte sich dem Arzt zu. Der riss seine Blicke von ihren wippenden Brustwarzen los, auf denen eine schwammige Flechte lag wie Schimmel.
»Ich bringe morgen Medikamente vorbei. Zwar ist diese Salbe nicht das Ideale – enthält wieder Feuchtigkeit –, aber sie ist im Augenblick das Einzige, was ich habe. Und wenn mein kleines Labor fertig ist, versuche ich, einen bestimmten Stoff herzustellen. Für Injektionen.«
»Das war nicht, wonach ich gefragt habe«, sagte sie. Mechin nickte. Er konnte ihr unmöglich sagen, wie sich ihre Krankheit weiter entwickeln würde. Er konnte es nur ahnen. Niemand hatte je von Erregern und Flechten gehört, die hohe Luftfeuchtigkeit, gedämpftes Licht und Vitaminmangel zugleich benötigten und die das ausgeklügelte menschliche Hautsystem mit derartiger Präzision zerstörten. Mechin wusste nicht einmal, ob er es mit irdischen Erregern und Pilzen zu tun hatte. Möglicherweise waren es außerirdische, von irgendeiner fremden Welt eingeschleppte Mikroben, oder es waren Mikroorganismen schuld, die es nur auf diesem Planeten gab. »Ich wollte wissen, wie es weitergeht – mit mir«, sagte Anna, als bestünde die Aussicht, Mechin hätte nicht verstanden, was sie meinte.
Was sollte er sagen? Ihr von Immunsystemen erzählen, die eventuell – nur mit einer ganz geringen Wahrscheinlichkeit – das Schlimmste verhüten würden? Oder sollte er ihr brutal die möglichen Folgen ihrer unbekannten Krankheit aufzählen? Schwere Schädigung der gesamten Hautfläche durch wuchernde Pilzkolonien, Kreislaufbeschwerden durch eine Vielzahl von Entzündungen und Infektionen, schließlich irgendwann das Versagen des überlasteten Herzens ... Totalausfall des lymphatischen Systems oder eine letale Leberschädigung durch die Stoffwechselprodukte dieser Erreger und Flechten und Pilze. Unter Umständen brächten irgendwelche Gifte die Blutwerte der Frau so durcheinander, dass Blutgerinnsel eine wichtige Arterie verstopften und sie an einem Schlaganfall stürbe. Das Übel könnte die Darmschleimhäute befallen und zersetzen, und die Patientin würde verhungern. Anna durfte nichts essen von den nahrhaften, wenn auch stockhässlichen Früchten, die man von den Gestrolchen Vilms erntete. Konserven aus den Ruinen des Weltenkreuzers waren ihre einzige Nahrung. Sie musste einem allergischen Schock aus dem Wege gehen. Ich kann ihr doch nicht sagen, dachte Mechin, dass es ihren Körper zerfressen wird, wie Säure, bei Leben und bei Bewusstsein; das geht doch nicht. Tut mir leid, Herr Calandra, überlegen Sie sich mal, was Sie mit der Leiche Ihrer Frau machen wollen. Tut mir leid, ich besuche nur die Patienten, denen ich wirklich helfen kann. Tut mir leid, Frau Calandra, ich kann Ihnen nicht helfen, das kann niemand, sehen Sie es doch ein. Auf Wiedersehen. – Das wäre so, als ob ich den Leuten vom epsilonischen Institut lächelnd mitteile, dass Menschenhirne bis ans Ende der Zeit über das verflixte Raumschiff grübeln werden, ohne etwas über das Ding herauszubringen. Das kann ich nicht tun. Ich könnte die Frau auch gleich eine Klippe hinabstoßen. »Im Moment«, sagte er, um Ruhe bemüht, »kann ich nichts weiter für dich tun. Wenn wir ein neues Medlabor haben, kriegen wir das alles weg.«
Damit ging er, packte wortlos seine magere Ausrüstung zusammen und verließ die Unterkunft, als habe er Angst vor seiner Patientin. Sie wussten beide, dass die Aussichten auf die Beschaffung eines solchen elektronischen Arztes gering waren. Früher hatte es ein Medlabor gegeben. Das war aus den Überresten mehrerer Maschinen zusammengestoppelt gewesen und hatte seinen Dienst längst eingestellt. Seine Ruine wurde in Ehren gehalten; vielleicht konnte irgendwer das Ding irgendwann reparieren. Die Chancen waren gering.
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