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Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Titel: Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
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Beine, die handtellergroße runde Körper hinter sich herzogen. Augenlose, stumme Kreaturen, die langsam auf das verletzte Wesen zukrochen. Will spürte in den Augen des Wesens, das still und hingestreckt dalag, eine Veränderung. Und er empfand Angst. Solche Angst, dass ihm die Zähne aufeinanderschlugen und sich seine Bauchmuskeln schmerzhaft zusammenkrampften. Dann verstand er, dass dies die Angst des Wesens war, über dessen große Wunde die ekelhaften kleinen Tiere krochen, als suchten sie die beste Stelle, mit dem Fraß zu beginnen. Das Wesen hatte maßlose Angst davor, bei lebendigem Leibe von hirnlosen Wurbls gefressen zu werden. Will hatte eine Aufgabe. Er hob die Flinte – seine Hände schmerzten, weil er die Waffe hart umklammert gehalten hatte – und stellte auf Lähmimpuls um. Als er auf die Kreatur zielte, nahm er in der fremden Angst Dankbarkeit wahr, aber das konnte Einbildung sein. Der Junge drückte ab, und die Anspannung wich von ihm. Die unsichtbare Verschattung der Landschaft verschwand, das Wesen erschlaffte und schloss die Augen. Will war erstaunt über die rasche Wirkung des lähmenden Strahls. Auf die Wurbls wirkte er überhaupt nicht. Das hing mit dem Nervensystem zusammen – je höher so ein Hirn entwickelt war, desto besser wirkte der Lähmstrahl. Das hatte einer der Biologen erzählt. Und Wurbls hatten kein Hirn. Will stellte die Waffe um und tötete das betäubte Wesen mit einem Geschoss. Die Wurbls begannen ihre widerwärtige Arbeit. Woher der Junge gewusst hatte, dass er zwischen die geschlossenen Augen der Kreatur zielen musste, war ihm selbst nicht klar. Er wollte darüber nicht nachdenken.
    Ohne dass Will es bemerkt hatte, war die ewige Wolkendecke zerrissen, und von einer Sekunde zur anderen lag die Landschaft in vollem Sonnenlicht. Will musste blinzeln, seine Augen waren solche Lichtfülle nicht gewohnt. Die Gestrolche, der nasse Boden, alles glänzte in der frischen Nässe und hatte ganz andere Farben als sonst. Will achtete nicht darauf; er kehrte auf die Kuppe des Hügels zurück und sah das tote Wesen nicht an. Er würde warten. Ein paar Stunden. Dann würde er ... den Biologen das Skelett bringen und erzählen, was geschehen war? Die würden ihn auslachen. Oder ihn misstrauisch ansehen, so wie die Erwachsenen immer guckten, wenn ihnen ihre Kinder das Wetter richtig vorhersagten oder Neues von den Regendrachen berichteten.
    Etwas war falsch; es hing mit ihm, Will, zusammen, dass das Wesen umgekommen war, und er würde darüber nachdenken müssen. Es würde ihm wieder und wieder einfallen, ahnte er. Der Junge warf die Flinte hin, öffnete die Kapuzenjacke und hielt sein Gesicht in die Sonne. Farbige Kreise schwammen in seinen Augen. Der Geruch der Luft veränderte sich, in der einstrahlenden Wärme stiegen Dampf und Nässe aus den Gestrolchen auf und führten selten wahrnehmbare Düfte mit sich. Das Wolkenloch blieb ungewöhnlich lange stabil. Will öffnete die Augen und betrachtete die Wolken. Die Ränder gleißten hell, wo die Sonne sie traf. Ein langer Spalt war das, und Will konnte sehen, wie der Wind Wolkenfetzen losriss und wieder in das weiße Massiv zurücktrieb. Hinter den Wolken leuchtete in einem tiefen Blau der klare Himmel, wie dunkle Tinte, und schwach schimmerten ein paar Sterne. Als Will sich fragte, wo jetzt die Regendrachen seien, die doch irgendwo bleiben mussten, stellte er voller Erstaunen fest, dass ihn die Antwort nicht interessierte. Es war ihm egal. Die Regendrachen gingen ihn nichts an. Und wer weiß, ob es sie überhaupt gab – ob sie nicht nur aus einem Märchen der Einarmigen Eliza stammten, ausgedacht für die Kleinen? Er wusste es nicht. Er wusste, dass es Wesen gab, die unbegreiflicher und geheimnisvoller waren als alle Regendrachen Vilms zusammen. Und was schwerer wog: Diese Wesen hatten mit ihm zu tun, sie gingen ihn etwas an, während die Regendrachen, mochte es sie auch geben, immer weit weg waren und immer weit weg sein würden. Plötzlich ahnte Will, dass nie wieder ein Tag so sein würde, dass er nie wieder die Sonne begrüßen konnte, wie er es gewohnt war. Alles würde anders sein.
    Das Gesicht des Jungen war heiß geworden vom Sonnenlicht. Erschrocken fuhr er sich mit der Hand an die Augen, als er Tränen spürte, wischte sie weg. Während er das tat, schloss sich der Spalt in den Wolken, das Funkeln und Glitzern ringsum erlosch, die Welt war wieder vertraut. Und dennoch war alles ein wenig anders. Will zögerte, ehe er sich

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