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Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Titel: Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
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Unbekanntes. Und es war anders als alle anderen Kreaturen, die er bisher geschossen hatte. Ein Gefühl dumpfer Unruhe ergriff ihn, und hin und wieder kam es ihm vor, als streiche ein dunkles Wesen mit mächtigen Schwingen über den regenlosen Himmel und verdüstere das Licht.
    Ein paar Schritte vor dem reglosen Tier stoppte Will und hockte sich hin. Er starrte das Tier an. Das Tier blickte ruhig zurück. Seine Augen waren groß und schwarz und glänzend, nicht die stumpfbraunen Linsen, wie sie etwa die Schreilen hatten. Das Tier wirkte seltsam verzerrt gebaut, irgendwie falsch, und es war verletzt – an der Flanke, über dem verkümmert wirkenden mittleren Beinpaar, klaffte eine große, schwärzlich verfärbte Wunde. Will spürte, dass dieses Wesen völlig verschieden war von den Rehschweinen, Schreilen, Springwölfen und all dem anderen Getier in und zwischen den Gestrolchen. Dann sah er, was dieses Geschöpf hier von all den anderen unterschied – dieses Tier hatte ein Vorne und ein Hinten. Der eine Halbschädel war geschrumpft, eigenartig verwandelt, kaum sichtbar, die Augen zugewachsen, das Maul geschlossen. Dafür war der andere Halbschädel erheblich größer und hatte fast einen Gesichtsausdruck. Will hatte von einem der Biologen erzählt bekommen, irgendwann einmal müsse die Evolution auf Vilm vom Prinzip der doppelgesichtigen Symmetrie abgehen, und es würde Wesen geben, die eines Tages ähnlich wie die Menschen werden müssten. Irgendwann einmal – das war in dieser Erklärung die häufigste Redewendung gewesen. Nun, falls der Mann recht gehabt hatte, stand hier so eine Kreatur.
    Das Tier war matt und lehnte sich tatsächlich an das Gestrolch, es musste mehrere Liter seines milchweißen Blutes verloren haben, das an seiner Flanke zu schwarz-bläulichen Flecken geronnen war. Die getrocknete Körperflüssigkeit stank erbärmlich. Die Pfoten des Tieres zitterten. Warum legt es sich nicht hin, fragte sich Will. Er rückte näher heran. Der Geruch nahm ihm fast den Atem. Das Tier blieb ruhig und sah den Jungen unverwandt an. Die Wurbls, fiel es Will ein; wenn es sich hinlegte, würden die Aasfresser kommen, unweigerlich wie der Regentropfen, der dem vorangegangenen folgt. Und die Wurbls machten keinen Unterschied zwischen gestorbenen und sterbenden Tieren. Moment mal, dachte Will, das ist doch eine Überlegung, eine Schlussfolgerung. Können Tiere überlegen ...? Ich weiß nicht.
    Diese Wunde sah nicht gut aus. Woher mochte sie stammen? Ein Springwolf? Kaum – die hatten scharfe Reißzähne und ließen wohl kaum ein Opfer los, das sie so schwer verletzt hatten ... Wieder schien es Will, als käme ein Schatten geflogen, und er kauerte sich zusammen; er fühlte sich, als hülle ihn ein Regendrache in seine dünnen Flügel ... Unsinn, die Luft war ungewohnt trocken, es waren keine Regendrachen hier ... Was war das? Will hatte ein merkwürdiges Gefühl; er bekam einen Stoß versetzt, obwohl ihn nichts berührte. Er kippte, landete auf dem Hintern und empfand für Sekunden einen brennenden und stechenden Schmerz, der in seinen Rippen steckte. Es war genauso schnell vorbei, wie es gekommen war. Will schnappte nach Luft. Ein paar Minuten saß er da und starrte mit ungläubigem Entsetzen das Tier an, während das Tier, nach wie vor unbeweglich, ihn ansah.
    Dann wurde Will von einem Schwindel ergriffen, und er schloss die Augen. Ein dunkler Regenhimmel tanzte unter seinen Lidern, er sah sich selbst als grotesk verzerrten Schatten, der wie in Zeitlupe langsam einen Stock, die Flinte hob, undeutlich alles, und als das Gewehr losging, konnte er das Geschoss auf sich zueilen sehen, und ehe es einschlug, riss er die Augen auf und sah, wie das Tier zusammenrutschte. Die Beine gaben unter ihm nach. Der Springwolf fiel dem Jungen ein, auf den er vor ein paar Tagen geschossen hatte und der ihm entwischt war. Das war kein Springwolf gewesen. Er hatte auf das hier gefeuert, auf dieses Tier oder dieses Wesen, dieses Geschöpf. Der Name »Tier« war plötzlich nicht mehr angemessen.
    Will stand auf und wich zurück. Das Wesen lag im Sterben, das fühlte er. Er hatte oft irgendein Vilm-Tier sterben gesehen, schließlich hatte er zusammen mit dem Bruder oder allein gejagt. Nie war ihm das an die Nieren gegangen. Lag es an den fehlenden Regendrachen? Will sah zum Himmel. In den nächsten Minuten würden die Wolken aufreißen. Ein leises Rascheln und Schmatzen schreckte ihn auf – aus dem Boden tasteten sich struppig behaarte

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